
Der Triumphbogen zu Ehren des Kaisers Titus, Baujahr 81 n. d. Z.
Chanukka tikwatejnu! – Chanukka unsere Hoffnung!
Streifzug durch die Geschichte
In fast allen jüdischen Familien kennt jeder, Klein und Groß, diese einfache Geschichte. Nach dem Tod Alexander des Großen, des Königs von Makedonien, entstand auf den von ihm eroberten Gebieten des Nahen Ostens das Seleukidenreich, in dem die hellenistische Monarchie herrschte. Antiochos IV. kam an die Macht und wurde zum Herrscher des Griechisch-Syrischen Reiches. Nachdem er ganz Judäa unterworfen und Jerusalem geplündert hatte, beschloss er, das ganze Volk Israels zwangsweise zu hellenisieren, und erklärte den griechischen Kult zur Staatsreligion. Juden, die sich weigerten zum Götzendienst überzutreten, wurden verfolgt und mit Folter und Tod bestraft. Antiochos, der Anspruch auf „göttliche Ehrungen“ erhob, nannte sich Epiphanes („der erschienene Gott“).
Während seiner Regentschaft war es Juden verboten ihren Glauben auszuüben, die Brit Mila (Beschneidung) durchzuführen und den Shabbath einzuhalten. Antiochos selbst entweihte vor aller Augen den heiligen Tempel Jerusalems, indem er auf dem Opferaltar ein Schwein opferte, dann eine Zeus-Statue errichtete und so den Jerusalemer Tempel in ein Heiligtum des Zeus verwandelte.
Diese Periode war eine der größten Tragödien in der jüdischen Geschichte und in diesem Moment entstand die realistische Wahrscheinlichkeit, dass der erste Monotheismus der Welt verschwindet.
Doch der jüdische Priester Mattatias, der zu dieser Zeit in Modi’in lebte, war der erste, der sich an das Volk mit dem Aufruf wandte: „Wer sich für das Gesetz ereifert und zum Bund steht, der soll mir folgen!“ (1. Buch der Makkabäer, 2:27) – der Appell wurde erhört. Von da an begann das, was wir den Makkabäer-Aufstand nennen. Gemeinsam mit seinen 5 Söhnen entfesselte Mattatias einen Partisanenkrieg gegen das griechisch-syrische Heer. Im ersten Kriegsjahr haben die Verteidiger Israels große Verluste erlitten. Ein Jahr nach Beginn des Aufstandes starb auch Mattatias und überließ die Kriegsführung seinem dritten Sohn Judas, dessen Kampfgeist so stark war, dass man ihn Makkabäus („Hammer“) nannte. Unter der Führung Judas‘ besiegten die Makkabäer-Brüder mit ihrem Heer innerhalb der nächsten 2 Jahre eine der stärksten Armeen der antiken Welt, eroberten Jerusalem zurück, säuberten den Tempel und zündeten die Menora mit dem Öl, das man im einzigen zwischen den Trümmern erhaltenen Krug gefunden hatte.
Das ist die allseits bekannte Chanukka-Geschichte, doch was geschah danach? Wir alle wissen, dass man das, was damals passierte, das Chanukka-Wunder nennt. Doch was war das Wunder? Der Sieg der Makkabäer über die Hellenen? Der Sieg Jerusalems über Athen? Und war dieser militärische Sieg, wie wir in unseren Gebeten sagen, ein Sieg der Wenigen über Viele und der Schwachen über die Starken? Oder bestand das Wunder doch darin, dass das Öl, was nur einen Tag hätte reichen sollen, 8 Tage lang brannte? Dann stellt sich aber die Frage: Was war das Wunder der ersten Nacht? Es würde bedeuten, dass das Wunder in den folgenden Tagen geschah, es am ersten Tag aber kein Wunder gab.
Lasst uns diese Fragen eine nach der anderen klären.
Der militärische Sieg der Makkabäer über die Hellenen währte nicht lange. Einige Jahre nach dem Sieg haben die makkabäischen Cohanim, die die jüdische Monarchie der Hasmonäer begründeten, den Zorn des Volkes auf sich gezogen, indem sie eins der Prinzipien des Judentums verletzten: die Trennung von Religion und politischer Macht. Sie wurden nicht nur zu Königen, sondern auch zu Hohepriestern, was die früheren jüdischen Könige niemals getan hatten. Sogar in militärischer Hinsicht stellte sich der Sieg über die Hellenen als zeitlich begrenzter Aufschub heraus. Fast 3 Jahre nach der denkwürdigen Tempelweihe verbündeten sich die hellenisierten Juden mit syrischen Streitmächten, die in Judäa eingedrungen waren. Judas Makkabäus wurde getötet, das jüdische Heer vollständig zerschlagen.
Zwei Jahre später führte Jonatan, der Bruder Judas‘, einen Aufstand an und eroberte Jerusalem zurück, doch die Hellenen entsandten eine neue Armee und Jonatan wurde getötet. Danach wurde sein Bruder Simon zum Hohepriester und Oberbefehlshaber Judäas, doch nach ein paar Jahren lockte sein Schwager Ptolemäus, der beschlossen hatte die Macht in Judäa an sich zu reißen, Simon und zwei seiner Söhne auf ein Fest und tötete sie. Leider stellte sich heraus, dass die Makkabäer an der Macht weniger nobel waren als in der Opposition.
Der Enkel Simons Alexander Jannäus beschloss während ernster Meinungsverschiedenheiten, als er König und Hohepriester und aus religiös-politischer Sicht Sadduzäer war, seine ideologischen Feinde, die Pharisäer, zu vernichten. Der Bürgerkrieg zwischen den Pharisäern und Sadduzäern dauerte 6 Jahre. Das Volk Israels bemitleidete und unterstützte die Pharisäer, Jannäus aber rief die Söldnertruppen der Götzendiener an seine Seite, im Grunde dieselben Hellenen, gegen die seine Vorfahren um die Freiheit des Landes Israels kämpften… Jannäus‘ Söldner nahmen nach der Eroberung die Festung, in der sich die Pharisäer mit ihren Familien versteckten, diese gefangen und brachten sie nach Jerusalem. König Jannäus wandte bei allen Gefangenen die römische Strafe an und kreuzigte etwa 800 Pharisäer, nachdem sie bei der Tötung ihrer Frauen und Kinder zusehen mussten. Während sich in Jerusalem dieses Gemetzel abspielte, veranstaltete König Jannäus in seinem Schloss ein Fest nach hellenischer Art mit vielen Mätressen. So beschreibt Flavius Josephus (Jüdische Altertümer, 13. Buch, 14. Kapitel) diese Geschichte. In dem grausamen Krieg Jannäus‘ gegen sein Volk kamen etwa 50.000 Juden ums Leben. Für die barbarischen Exzesse gab das Volk Judäas dem König Jannäus den Spitznamen „Thraker“ („Wilder“).
Die weiteren Ereignisse waren ebenso schrecklich für Judäa. Der moralische und religiöse Verfall der Makkabäer zeigte sich daran, dass sie im Talmud kaum erwähnt werden. Kriege und Fehden quälten Judäa weiter, nach weniger als 100 Jahren drang Pompeius in Jerusalem ein und Israel geriet unter römische Herrschaft. Danach geschah der katastrophale Aufstand gegen die Römer (66-73), in dessen Folge Israel besiegt und der Tempel zerstört wurde. Der Triumphbogen zu Ehren des Kaisers Titus wurde von dessen Bruder Domitian errichtet, um den Sieg Roms über Judäa zu kennzeichnen. Auf dem Basrelief sind römische Soldaten dargestellt, die Kriegstrophäen tragen, die bekannteste von ihnen: die Menora des Tempels. Rom gewann diese kriegerische Auseinandersetzung.

Makkabäer. Gemälde von Albert Kornel Stattler, 1844
Einige Rabbiner jener Zeit sagten, dass der ganze Kampf der Makkabäer ruiniert wurde und dass man den Feiertag Chanukka abschaffen soll. Wozu sollte man eine verlorene Freiheit feiern? Andere stimmten nicht zu und ihre Meinung herrschte vor. Die Freiheit hatte man vielleicht verloren, aber nicht die Hoffnung.
Nachdem die Juden schließlich verstanden hatten, dass der echte Kampf nicht gegen das Imperium, sondern die Kultur geführt wurde, begannen sie mit der Errichtung des ersten allgemeinen Bildungssystems der Welt. Dies hatte einen erstaunlichen Effekt. Auch wenn sie zerstörerische Niederlagen durch die Römer erlitten hatten, haben sie ihre eigene religiöse Welt gestärkt und konnten 2000 Jahre der Vertreibung und Zerstreuung überleben. Die Geschichte lehrte die Juden, dass man für die Verteidigung eines Landes eine Armee braucht, für die Verteidigung der Zivilisation aber Schulen. Aus kurzfristiger Perspektive gewinnt man Kämpfe mit Waffen, doch im Endeffekt gewinnt man sie mit Ideen und damit, wie diese Ideen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Hier ist es angebracht zu erwähnen, dass das Wort „Chanukka“ von derselben Wurzel abstammt wie das Wort „Chinuch“ (חינוך) („Bildung/Erziehung“). Chanukka sagt uns, dass es zwei Arten des Freiheitskampfes gibt: zum einen kämpfende Soldaten, zum anderen kämpfende Lehrer und die Letzteren bestimmen am Ende den Lauf der Geschichte. Wenn Zivilisationen aufeinander prallen, dann muss man als Erstes die Schulen stärken. Die Welt, die morgen gebaut wird, wird bisher in den Unterrichtsstunden geboren, die wir heute lehren.
Jetzt aber lasst uns zur Frage vom Anfang zurückkehren: Was war nun das Wunder von Chanukka? Heute denken Juden bei dieser Überlegung weniger an den Makkabäer-Aufstand, als an die Öllampe, die ganze 8 Tage brannte. Das Wunder war vielleicht, dass die Makkabäer den einzigen Krug mit reinem, salbungsvollem Öl und unversehrtem Siegel fanden. Und sie fanden diesen Krug nur darum, weil sie den absoluten Glauben und die Hoffnung hatten, dass selbst in der schrecklichsten Tragödie etwas erhalten geblieben sein muss. Und zum Wunder der ersten Nacht wurde der Glaube, dass nicht alles verloren ist, dass es Hoffnung gibt und dass man alles in Ordnung bringen kann.
Auch wenn der Tempel später zerstört wurde, bleibt die Hoffnung der Juden ganz. Wir haben den Tempel verloren, doch unsere Geschichte und Erinnerung daran, dass die Ereignisse aus den Tagen der Makkabäer sich wiederholen können, sind noch da.
Die Worte „Od lo avda tikwateinu“ (עוד לא אבדה תקוותנו) – „So lange ist unsere Hoffnung nicht verloren“ – wurden Teil der Hymne Israels „haTikwa“, die die Juden dazu inspiriert, nach Israel zurückzukehren, um ihren antiken Staat wiederherzustellen. Indem wir die Chanukka-Kerzen anzünden, werden wir uns immer daran erinnern und daran, dass das jüdische Volk immer die Hoffnung bewahrte und die Hoffnung das jüdische Volk am Leben hielt. So wurden die Chanukka-Lichter zur Hoffnung des reinen Lichtes der Tora, das auf jeden Fall die Dunkelheit der äußeren Welt erleuchtet.
Ich wünsche allen ein helles und frohes Chanukka und dass das Licht und die Hoffnung immer in euren Herzen bleiben.
Ramiel Tkachenko, Chefredakteur des Magazins J.E.W.