„Meine Mutter war die größte Heldin…“
Wolfgang Polak spricht selten über seine Erinnerungen an die Shoah. Aber für die Jugendlichen aus unserem Jugendzentrum „Emuna“ machte er eine Ausnahme, denn er weiß mehr als sonst jemand, von welcher unermesslichen Bedeutung ein Zeitzeugengespräch für die Jugend ist.

Wolfgang Polak
Wolfgang Polak wurde 1935 in einer traditionellen jüdischen Familie in Dortmund geboren – und die Zeiten waren bereits düster. Die Pogromnacht 1938 ist der Familie so unter die Haut gegangen, dass er sich an diese Nacht – natürlich durch Erzählungen seiner Eltern – lebhaft erinnern kann.
„Wir sind vom Süden Dortmunds in die Nordstraße unter Zwang verfrachtet worden und sind in ein sogenanntes Judenhaus einquartiert worden. Und am 9. November 1938 kamen die Nazis und haben uns überfallen, die Möbel aus dem Fenster geschmissen. Meine Mutter, mein Bruder und ich saßen auf der Treppe und wussten nicht, was wir machen sollten.“
Während sein Vater durch die Hintertür entkam und bei Bekannten untertauchte, wanderte seine Mutter zusammen mit ihren beiden Söhnen bereits am nächsten Tag illegal nach Holland aus. Die ersten Erinnerungen von Herrn Polak sind die eines Flüchtlings.
Anderthalb Jahre lang versteckte sich die Familie Polak in einem geheimen Aufenthalt in Aalten an der holländischen Grenze, bis sie die Chance bekamen, nach Amerika auszuwandern. Herr Polak erinnert sich noch genau an das schneebedeckte Rotterdam und an die Notbaracke, in der sie ihre vermeintlich letzte Nacht in Europa verbringen sollten. Aber das ging nicht mehr. „Die Reise wurde gecancelt, das Schiff lief ohne uns aus.“ Die verzweifelte Familie suchte Zuflucht bei entfernten Verwandten in Amsterdam – jedoch war Holland zu diesem Zeitpunkt bereits in den Händen der Nazis.
Die Juden wurden mit brutaler Gewalt zusammengetrieben – und am nächsten Tag wurden die Polaks nach Westerbork – ein Durchgangskonzentrationslager – verfrachtet, in dessen Baracken sie für die nächsten 2,5 Jahre eingepfercht wurden.
Im Sommer 1942, kurz vor den bevorstehenden Deportationen, genehmigten die deutschen Behörden die vorläufige Freistellung einzelner Juden. Hinzu kamen unter anderem die jüdischen Partner aus „gemischten“ Ehen.
Eliezer und Ruth Polak heirateten 1933, schon während der Nazizeit. Zum Glück wussten die Nazis in Westerbork nicht, dass Ruth schon 1933 zum Judentum übergetreten war. „Das muss man sich vorstellen, während der Nazizeit!“, sagt Herr Polak, „Und meine Mutter war die größte Heldin, die ich kenne.“
Ausschließlich ihrem inneren Mut und ihrem außergewöhnlichen Auftritt verdankt die Familie das große Glück nach 2,5 Jahren in Westerbork den „Freistellungsstempel“ zu bekommen und dadurch der Deportation entgehen zu können. Sie sprach bei dem Kommandant von Westerbork vor, damit die Familie nicht deportiert wurde. Sie wurden nach Amsterdam verfrachtet und bekamen eine vorgeschriebene Behausung in einem Judenviertel.
Auch in Amsterdam hat Ruth die Familie und ihren Ehemann unzählige Male gerettet. Jeden Tag wurden die Leute aus der Gegend abgeholt und ins KZ transportiert. Jeden Tag bangte man um sein Leben.
„Mein Vater war unzählige Male auf der SS-Kommandantur, wo sie ihn festgehalten haben, und meiner Mutter ist es immer gelungen durch ihr Auftreten, meinen Vater zurückzuholen und ihn zurück in die Wohnung zu bringen. Sie hat ihn sogar einige Male von Transportautos runtergeholt. Es war unvorstellbar.“
Der damals 7 Jahre alte Wolfgang Polak erinnert sich noch genau an die schrecklichen Umstände, in denen die Familie 1943-1945 gelebt hatte, an die Esskarten, für die man kaum was holen konnte und an den Hungerwinter in Amsterdam 1944, als es buchstäblich nichts zu essen gab. Und wiedermal war es seine Mutter, die ihre Familie gerettet hat.
Herr Polak ist glücklich, dass seine Eltern und sein Bruder überleben konnten, aber er kann nicht die Millionen vergessen, die ermordet wurden.
„Mit dem Aufblühen des jüdischen Lebens sind leider wieder diese antisemitischen Strömungen in Deutschland erwacht. Wenn man da nicht aufpasst, kann so eine Strömung immer mehr werden. […] Ich kann nur hoffen, dass die jüdische Jugend treu bleibt, keine Angst verspürt und die Zukunft positiv sieht. Und wenn sie Antisemitismus merken, sich nicht verstecken, sondern dagegen angehen.“
J.E.W.-Redaktion
Ein Gespräch mit Wolfgang Polak am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus: