Rentenabsicherung für jüdische Emigranten
Gedankenaustausch zwischen SPD und dem Zentralrat der Juden in Deutschland
Am 27. Februar 2023 sind die Präsidien der SPD und des Zentralrates der Juden in Deutschland in Berlin zu einem Gedankenaustausch zusammengetroffen.

An dem Gespräch nahmen für den Zentralrat der Juden der Präsident Dr. Josef Schuster, die Vizepräsidenten Abraham Lehrer und Mark Dainow, sowie die Präsidiumsmitglieder Daniel Neumann, Bianca Nissim, Grigory Rabinovich, Harry Schnabel, Vera Szackamer, Barbara Traub und der Geschäftsführer Daniel Botmann teil. Das SPD-Präsidium war vertreten durch die Vorsitzenden Saskia Esken, Bundeskanzler Olaf Scholz, die stellvertretenden Vorsitzenden Klara Geywitz, Anke Rehlinger, Serpil Midyatli und Hubertus Heil, die Verantwortliche für Europa Katarina Barley, Generalsekretär Kevin Kühnert, Dietmar Nietan, Thomas Kutschaty, Jessika Wischmeyer, Lars Castelluci, Katja Mast. Foto: Gregor Zielke / Zentralrat der Juden in Deutschland
Bei dem zweistündigen Gespräch im Willy-Brandt-Haus ging es um die aktuelle Lage der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sowie um die Themen Flucht und Integration ukrainischer Geflüchteter, Antisemitismus in Kunst und Kultur sowie um die Schoa-Erinnerung, Religionsfreiheit und Rechtsextremismus. Allerdings wurde unter anderem auch die Kritik an der Ausführung des Härtefallfonds für jüdische Zuwanderer ausgeführt.
Dieses Thema wurde dem Präsidenten des Zentralrates Dr. Josef Schuster und mir anvertraut.
Am 9. Januar 1991 beschlossen Bund und Länder, jüdischen Zuwanderern und ihren Familienangehörigen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion die Einreise und Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen.
Die Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus den ehemaligen Sowjetstaaten war ein Erfolg und eine historische Leistung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Ohne die Zuwanderer gäbe es heute wahrscheinlich gar kein jüdisches Leben mehr in Deutschland.
Allerdings war die Frage der Altersabsicherung der Zuwanderer zu dem Zeitpunkt, als ihnen die Einreise nach Deutschland ermöglicht wurde, nicht mitgedacht worden.
Rund die Hälfte der Menschen, die kamen, hatte einen gewichtigen Teil des Erwerbslebens im Herkunftsland verbracht. So fehlen diesen Menschen Jahre der Zugehörigkeit zum deutschen Rentenversicherungssystem. Auch aus den Herkunftsländern sind keine Ausgleichszahlungen in die deutsche Rentenversicherung zu erwarten.
Heute sind knapp 70.000 der ehemals zugewanderten Jüdinnen und Juden unverschuldet von Altersarmut betroffen. Das Schlimmste ist dabei nicht einmal der finanzielle Schaden. Es macht moralisch etwas mit Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und am Ende ihres Lebens auf den Staat angewiesen sind.
Der Zentralrat hat über einen langen Zeitraum verhandelt und es wurde ein Fonds in Höhe von 1 Mrd. Euro in Aussicht gestellt, immer mit der Perspektive, dass die Länder genauso viel bereitstellen.
Nun gibt es einen Fonds mit nur noch 500 Mio. Euro, aus dem die Betroffenen eine Pauschalzahlung von 2.500 Euro beantragen können. Vielleicht haben sie Glück und ihr Bundesland zahlt auch 2.500 Euro, obwohl Herr Dr. Schuster auch die Summe von 5.000 Euro als nicht akzeptabel angeprangert hat.
Aber außer Mecklenburg-Vorpommern hat sich noch kein Bundesland positiv geäußert. Bewegung ist nicht in Sicht.
Es ist wichtig zu betonen, dass nicht nur die Höhe des Fonds, sondern auch die Ausgestaltung und die Auswahlkriterien kritikwürdig sind.
Um den Anspruch auf die Auszahlung überhaupt zu haben, muss man die Rente bzw. Grundsicherung schon am 1. Januar 2021 beziehen. Mit anderen Worten: Nur die Menschen können von dem Fonds profitieren, die sich seit mehr als 2 Jahren in Rente befinden. Die, die danach oder demnächst in Rente gehen, stehen mit leeren Händen da. Und als ob das nicht genug wäre, müssten sie bei der Einreise nach Deutschland schon mindestens 41 Jahre alt sein. Diese ziemlich willkürlichen Anforderungen führen dazu, dass viele Menschen, die in Deutschland mehrere Jahre gearbeitet haben, letztendlich ganz leer ausgehen.
Eins möchte ich sagen: Nach meiner vollen Überzeugung wäre die beste und die gerechteste Lösung für alle die Aufnahme von jüdischen Zuwanderern ins Fremdrentengesetz.
Nur die Gleichstellung der Kontingentflüchtlinge mit den Spätaussiedlern, die Anerkennung ihrer Berufsjahre in den Heimatländern für die Rente in Deutschland bringt Gerechtigkeit in der Rentenfrage – diesen Vorschlag habe ich ganz zum Schluss des Gesprächs dem Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich unterbreitet. Diese Idee stößt bis jetzt auf den erbitterten Widerstand von der Seite der Politik.
Aber ich bin fest überzeugt: Wenn man nicht glaubt, braucht man nicht anzufangen.
Grigory Rabinovich, Vorstandsvorsitzender der jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen,
stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe,
Präsidiumsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland