Recklinghäuser Juden im Ersten Weltkrieg

Jüdische Soldaten des Deutschen Reiches feiern am 26. Dezember 1916 (1. Tewet 5677) den siebten Chanukka-Tag

Jüdische Soldaten des Deutschen Reiches feiern am 26. Dezember 1916 (1. Tewet 5677) den siebten Chanukka-Tag

Die Mobilmachung am 2. August 1914

 

Auch wenn es heute kaum mehr vorstellbar ist, wie begeistert die deutsche Bevölkerung die Mobilmachung im August 1914 zu Beginn des ersten Weltkrieges begrüßte. Der Reichsanzeiger veröffentlichte in einer Sonderausgabe folgenden kaiserlichen Erlass:

„Ich bestimme hiermit: Das deutsche Heer und die kaiserliche Marine sind nach Maßgabe des Mobilma-chungsplans für das deutsche Heer und die kaiserliche Marine kriegsbereit aufzustellen.“

Der 2. August 1914 wird als erster Mobilmachungstag festgesetzt.

Viele meldeten sich freiwillig „zu den Fahnen“. Man gab sich der Illusion hin, in wenigen Wochen Frankreich zu besiegen und wieder nach Hause zurückkehren zu können.
Die deutschen Juden standen hier in ihrer Kriegsbegeisterung mit Treueschwüren auf Deutschland und den deutschen Kaiser keineswegs zurück. Viele Juden hatten bereits vor dem Ersten Weltkrieg den Freiwilligendienst als Einjährige abgeleistet. Der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ rief sogar dazu auf, sich freiwillig „zu den Fahnen“ zu melden. Auch die Rabbiner legten sich im Allgemeinen keine Zurückhaltung auf, im Gegenteil beteuerten sie in ihren Ansprachen an die Gemeinden oder einrückende Soldaten ihren patriotischen Geist, der oftmals ins nationalistische abglitt. So hatte der ab 1935 in Castrop eingesetzte Lehrer und Prediger Abraham Jaffe 1914 die in der Garnisonsstadt Celle eingerückten jüdischen Soldaten ermahnt, „mutig in den Kampf zu ziehen, vertrauend auf G“ttes Hilfe zu kämpfen für die Macht und das Ansehen des deutschen Volkes und den Ruhm und die Ehre ihres erhabenen Kaisers.“ Der unbedingte Wille, endlich als gleichwertige deutsche Bürger anerkannt zu werden, war deutlich
spürbar.
Sogar Leo Baeck, ein heute noch berühmter Rabbiner aus Berlin wurde zum Kriegsanhänger.

Deutsche Tageszeitung (Extra Ausgabe), Berlin, den 1. August 1914

Deutsche Tageszeitung (Extra Ausgabe),
Berlin, den 1. August 1914

Im Ersten Weltkrieg gab es ganz selbstverständlich jüdische Feldrabbiner, jüdische Soldatengebetbücher gehörten zur Grundausstattung.

Kalman Bresser ein Onkel des Recklinghäuser Oskar Jäckel beim Minjan in einem Gefechtsunterstand. Foto: Archiv F.-J.Wittstamm

Kalman Bresser ein Onkel des Recklinghäuser Oskar Jäckel beim Minjan in einem Gefechtsunterstand. Foto: Archiv F.-J.Wittstamm

Wie viele Recklinghäuser Juden tatsächlich einberufen wurden, lässt sich heute nur mehr schwer abschätzen. Wir wissen aber, dass 20 jüdische Männer aus Recklinghausen als Kriegsgefallene in den Verlustlisten registriert wurden.

Leo Baeck (2. v.l. erste Reihe) als Feldrabbiner mit unbekannten jüdischen Soldaten. Foto: Leo Baeck Institut

Leo Baeck (2. v.l. erste Reihe) als Feldrabbiner mit unbekannten jüdischen Soldaten. Foto: Leo Baeck Institut

Auf dem bereits im Jahre 1921 von der jüdischen Gemeinde auf dem Jüdischen Friedhof am Nordcharweg errichteten Ehrenmal wurden 16 jüdische Opfer des Ersten Weltkrieges geehrt. Vier weitere finden sich in dem Gedenkbuch des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten (RjF) verzeichnet.

Hoher Blutzoll der Recklinghäuser Juden

 

Der Blutzoll der im Jahre 1910 nur 330 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde Recklinghausens war hoch, ebenso wie der der Stadt Recklinghausen mit 2279 Toten. Er lag jedoch anteilig zur Bevölkerungszahl um die Hälfte höher.

Vom RjF wurden immer wieder Kampagnen veranlasst, um die in der Bevölkerung verbreitete, aber sachlich völlig unzutreffende, infame Unterstellung vom „jüdischen Drückeberger“ zu korrigieren, wie dieses Plakat des Reichsbundes aus dem Jahre 1920 illustriert.

6. März 1936, Artikel in „Der Schild“, Organ des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten
  1. März 1936, Artikel in „Der Schild“, Organ des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten

Die neun Söhne der Pauline Löwenhardt

Noch im Jahre 1936 wehrten sich die auf ihren Patriotismus stolzen deutschen Juden in der Ausgabe der Zeitschrift Schild unter der Schlagzeile „Vater und neun Jungen“ gegen die Unterstellung, dass Juden nicht zum deutschen Volk dazugehören sollten. Im selben Jahr wurde dem Reichsbund seitens der Nationalsozialisten jegliche politische Aktivität untersagt, 1938 wurde er zwangsweise liquidiert.

Die neun Brüder Löwenhardt in der Uniform der „Feldgrauen“ als jüdische Frontsoldaten. Im Zentrum die Mutter Pauline. Links unten Siegmund Löwenhardt der 1902 als Kaufmannslehrling in Recklinghausen Bruch (Süd) seine Ausbildung absolvierte.

Der bereits 1898 verstorbene Vater hatte alle drei deutschen Einigungskriege in den Jahren 1864, 1866 und 1870/71 als aktiver Frontsoldat im Dienstgrad eines Gefreiten mitgemacht. So war es für alle seine neun Söhne selbstverständlich am Weltkrieg als Soldaten teilzunehmen, einzelne von ihnen auch als Kriegsfreiwillige.

Bruder Adolf als Gefreiter des 38. Füsilier-Regiments wurde 1915 als leicht verwundet bei der Truppe in den Preußischen Verlustlisten gemeldet.

Die neun Brüder Löwenhardt und ihre Mutter Pauline

Die neun Brüder Löwenhardt und ihre Mutter Pauline

Dr. Franz-Josef Wittstamm