Der barbarische Krieg Putins

doch sein Scheitern ist höchstens eine Frage der Zeit!

Der brutale Angriffskrieg des Kremls auf die Ukraine führt uns schmerzlich vor Augen: Flucht, Vertreibung und Tod sind in einem europäischen Nachbarland, der Ukraine, seit mehr als einem Jahr zum bitteren Alltag geworden.

In Entfernung von nur knapp 1.500 km werden vor unserer europäischen Haustür durch russische Kampfflugzeuge, Drohnen, Bomben, Raketen und andere russische großkalibrige Waffensysteme, nicht nur ökologische Lebensräume teils irreversibel zerstört, nein, es sind vor allem die Menschen aller Altersstufen, die unter den Folgen des Krieges in ihrer Heimat unvorstellbares Leid ertragen müssen.

Seit Ende der Shoa 1945 haben wir uns an ein Leben in Demokratie, Frieden und Freiheit gewöhnt.

Doch seit dem 24.02.2023 sehen wir in den täglichen Nachrichten, wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Sportzentren, Straßen, Verkehrsmittel, Parks u.v.m. brachial zerstört werden. Damit jedoch nicht genug. Seit Dienstag, den 6. Juni, schockt die Welt die Sprengung der Kachowka-Staumauer durch russische Sabotagetruppen als ein weiteres Horrorszenarium des russischen Terrors in der Ukraine.

Mitglieder, die vor ein paar Monaten aus dem Kriegsgebiet der Ukraine zu uns nach Münster geflohen sind, erzählen, dass die Sprengung des Staudamms vor allem zum Ziel hatte, Menschen und Tiere in den flussabwärts gelegenen Städten Nowa Kachowka und Cherson mit mehr als 18 Millionen m³ Wasser zu überfluten – zu ertränken! Ein weiteres barbarisches Verbrechen des russischen Aggressors gegen die Menschlichkeit auf dem Gebiet der Ukraine.

In den TV-Nachrichten und anderen Nachrichtenkanälen sahen wir, wie die Flutwelle nach der Sprengung der Staumauer sich mit ungeheurer Gewalt in Richtung Cherson wälzte. Bewohner/innen blieb nur noch, was sie am Leib trugen: T-Shirt, Hose und Flip-Flop.

Menschen suchten verzweifelt nach ihren Angehörigen. Wer es schaffte, flüchtete vor der Flut in panischer Angst aufs nächste Dach, um von Rettern in Schlauchbooten abgeholt zu werden.

Rettungsdienste berichten, dass sie während ihrer Hilfsbemühungen, Kinder, Alte und Menschen mit Behinderung zu evakuieren, von den russischen Besatzern beschossen wurden.

Auch Menschen, die auf Hausdächern schutzlos auf ihre Evakuierung warteten, wurden von russischen Soldaten beschossen, hören wir von Augenzeugen in den stündlichen Nachrichten.

Dass Menschen auf der russisch kontrollierten Seite mit russischem Pass von russischen Soldaten aus den Überflutungsgebieten herausgelassen und ukrainische Menschen zurückgelassen wurden – ein weiterer, erbarmungs- und rücksichtsloser Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.

Zu den schrecklichen und traumatischen Erlebnissen bei vielen der geflüchteten Menschen aus der Ukraine, die in unserer jüdischen Gemeinde Zuflucht gefunden haben, kommen zu allen Sorgen nun die Ängste hinzu, was mit dem Vater, dem Bruder, den Freunden, Kommilitonen und Arbeitskollegen/innen, die zum Kämpfen in der Ukraine zurückgeblieben sind, nach der Explosion des Staubeckens geworden ist.

Oleksandra erzählt, dass sie seit Tagen schon viele Tränen vergossen habe, denn die jüngsten Bilder und Berichte aus der Ukraine, ihrer Heimat, lassen sie auch hier in der Sicherheit nicht zur Ruhe kommen.

Angst, Entsetzen und Unsicherheit, so erzählt Oleksandra weiter, seien häufig die vorherrschenden Emotionen unter den geflüchteten Menschen hier bei uns und anderswo.

Der russische Angriffskrieg auf das souveräne Staatsgebiet der Ukraine führt uns in schrecklicher Weise nüchtern und real vor Augen, dass Menschenrechte, Demokratie, Freiheitsrechte, Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung und Weltoffenheit ganz und gar nicht selbstverständlich sind.

Sie müssen, wie seit 16 Monaten in der Ukraine, verteidigt werden, wenn es darum geht, die Zerstörung freiheitlich demokratischer Grundwerte zu verhindern und dies nicht nur durch Plakate und Spruchbänder, nein, dann notfalls auch handfest – mit Waffen!

Ich betone das bewusst auch vor dem Hintergrund der in den letzten Wochen häufiger aufflackernden Debatten und Demonstrationen, auf welchen der Prophet Micha 4,3 immer wieder mit dem hebräischen Zitat bemüht wird:

וכתתן חרבתיהם לאתים, וחניתתיהם למזמרות
.לא ישאו גוי אל גוי חרב, ולא ילמדו עוד מלחמה

„(…) Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere, das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen (…)“.

Mit diesem Micha-Zitat ist der Aggressor im Kreml mit seiner ungeheuerlichen Skrupellosigkeit, der auf das gewaltsame Durchdrücken seiner imperialistischen Großmacht-Fantasien nicht verzichten und sich über Menschenleben weiter eiskalt hinwegsetzen wird, so herzlich wenig zu beeindrucken wie Demonstrationen und Manifeste für Frieden. Die Aktion für Frieden von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar 2023, der sich auch AfD-Politiker/innen angeschlossen hatten, kam eher einem Verständnis für den imperialistischen Diktator im Kreml gleich, wodurch m. E. das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine verhöhnt wurde.

Die Menschen in der Ukraine kämpfen für Werte der Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung.

Solange die Ukraine dafür kämpft, was uns allen ebenso wichtig ist, braucht es bei der brutalen Entschlossenheit des Kremls statt Belehrung und Besserwisserei mehr als populistische Manifeste und nicht Pflugscharen statt Schwerter als Lösung.

Auch wenn heute, am 6. Tage nach der Sprengung der Kachowka-Staumauer, das Wasser langsam wieder sinkt, so erzählt Borislav, würden die Folgen für den ökologischen Lebensraum in der Ukraine und darüber hinaus von verheerendem Ausmaß sein.

Borislav zeigt mir Screenshots von seinem Notebook aus den ukrainischen Nachrichten, Bilder, die mich die Luft anhalten lassen: Da treibt schmieriger Schlick in Regenbogenfarben auf dem Wasser des zerstörten Staubeckens, Öl, Diesel, Benzin, leere Kanister, Chemikalien, Tierkadaver. Borislav befürchtet, dass all dies und vor allem die vielen Industriegifte nach dem Rückgang des Wassers sich auf den Feldern, Wiesen und Obstplantagen verteilen und ins Grundwasser einsickern würden. Letzteres sei durch Kriegsmunitionen und dem Austritt von Chemikalien aus zerstörten Industrieanlagen bereits erheblich belastet. Borislav (er ist aus Saporischschja) spricht von einem Umweltverbrechen, einem realen Ökozid und scheint seine Tränen nur mit Mühe zu unterdrücken.

Fachleute befürchten schon jetzt, dass durch die Explosion des Staudamms die Versorgung der Atomkraftwerke mit Kühlwasser gefährdet ist.

Längst sind in der Ukraine alle Tatbestände von massiven Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die Umwelt zu beobachten.

Seit nun mehr als 16 Monate werden die Menschen allen Alters in der Ukraine Tag für Tag, Nacht für Nacht, Woche für Woche und Monat für Monat von Putins Soldaten brutal terrorisiert.

Auch wenn der barbarische Angriffskrieg des Kremls auf die Ukraine mit dem Hitlerfaschismus nicht gleichzusetzen ist, denn Hitler hat den 2. Weltkrieg verursacht und ist verantwortlich für die beispiellosen Verbrechen der Shoa mit sechs Millionen ermordeten europäische Jüdinnen und Juden. Doch Parallelen scheint es doch zu geben. Die von Putin angestrebte Wiederherstellung Russlands zu einer Weltmacht wie zu sowjetischen Zeiten erinnert an Hitlers „Anschluss“ Österreichs an das „Deutsche Reich“. Oder: Auch Hitler befehligte den Aufmarsch von Truppen und versicherte gleichzeitig, nichts anderes als den Frieden zu wollen. Ähnlich verhielt Putin sich gegenüber westlichen Diplomaten, obwohl er die Angriffspläne auf die Ukraine längst in der Schublade liegen hatte. Oder: Auch Putin stützt seine Kriegsaggression auf Lügen. Er streute lange Zeit das Gerücht über einen bevorstehenden ukrainischen Anschlag auf die russische Grenzregion Belgorod, um sich die Unterstützung der Russen für den Krieg gegen die Ukraine zu sichern.

Last but not least: So wie Putin von einer „Spezialoperation“ gegen die Ukraine spricht, so gab auch Propagandaminister Goebbels am 1. September 1939 die Anweisung aus, nicht von „Krieg“, sondern von einem „Gegenschlag“ auf einen polnischen Angriff zu reden.

Was mich dennoch zu dem Vergleich bewegt, dass ist vor allem die ungeheuerliche Brutalität der russischen Kriegsführung, die aus demselben menschenverachtenden, zynischen und totalitären Guss stammt, wie der Hitlerfaschismus in Deutschland während der Jahre 1933-1945. Hinzu kommt, dass auch Putin Gefallen in der Rolle des absoluten Alleinherrschers hat. Widerspruch, Opposition und Führungsalternativen werden durch ihn in Russland brutal ausgeschaltet – legitimer Nachfolger? Fehleinschätzung!

Doch: Je mehr Putin erkennen muss, dass sein erklärtes Maximalkriegsziel einer Unterwerfung der sich zum Westen geöffneten und nach Unabhängigkeit strebenden Ukraine so wenig gelingen wird wie eine Zurückführung der Ukraine mit Gewalt in ein „russisches Imperium“, desto mehr scheint Putin nunmehr entschlossen, die Ukraine durch totale Zerstörung von der Landkarte tilgen zu wollen.

Putin hat die entschlossene militärische Verteidigungsfähigkeit des ukrainischen Militärs, die heldenhafte starke ukrainische Zivilgesellschaft, den konsequenten Zusammenhalt der NATO und der EU und dabei die eigene militärische Stärke unterschätzt und dabei die Wirkung seiner propagandistischen Fake-News überschätzt. Selbst in der vermessenen Annahme, die Menschen in der Ukraine würden jubeln und sich freuen, wenn Russen sie befreien würden, lag der Kreml völlig daneben.
Dass der Kreml mit scharfen Worten Kritik an der Entscheidung der USA übt, Streubomben an die Ukraine liefern zu wollen, ist an Zynismus wohl kaum noch zu überbieten. Es bestehe die Gefahr eines dritten Weltkrieges, hören wir aus dem Kreml in den täglichen TV-Nachrichten. Vergessen, dass der Kreml es war, der vor 500 Tagen den verheerenden Angriffskrieg gegen die Ukraine befehligte und nicht davor zurückschreckte, die ukrainische Zivilbevölkerung immer wieder auch mit Streubomben zu terrorisieren. Wenn der Kreml sich zu Entscheidung der USA verärgert äußert, dann nur, um den Westen und die Ukraine mit dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen zu drohen – wieder einmal! Keine Regierung sollte sich davon beeindrucken lassen und indes die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf und Kampf des Überlebens, mit weiteren Finanzhilfen, Panzerabwehrwaffen, Haubitzen, Mehrfachraketenwerfer, Kampfhubschrauber, Granaten, Drohnen und vor allem Munition sowie politisch und moralisch zu unterstützen. Würde das weniger zögerlich geschehen, dann wäre die Ukraine, um Fortschritte in der Verteidigung ihres Landes zu erzielen, nicht weiter auf den Einsatz von Streumunition angewiesen.

Möge die Ukraine sich als starke Zivilgesellschaft der russischen Aggression weiterhin mutig widersetzen. Der Tag wird kommen, an dem die beginnende Entzauberung des russischen Militärapparates die Befreiung der Ukraine aus der Geisel des russischen Größenwahns einleiten wird, um danach ein Leben frei von jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft zu gestalten – menschlich, würdevoll und selbstbestimmt! SHALOM!

Sharon Fehr, Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe