NRW-Stiftung fördert die Vollendung des Stelenwegs in Bochum und Wattenscheid
Der Bochumer Stelenweg hat eine lange Vorgeschichte. Am Anfang stand die Inventarisation – die vollständige textliche und bildliche Dokumentation – des jüdischen Friedhofs an der Wasserstraße in Bochum-Wiemelhausen. Als die Arbeiten im Jahr 1985 begannen, gab es dort etwa 600 Grabsteine aus 350 Jahren. Sie wurden durch die wissenschaftliche Bearbeitung zu einem aufgeschlagenen Geschichtsbuch, das von jüdischen Familien berichtet, die über mehrere Generationen hier lebten und ihren Beitrag zum wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Stadt leisteten.

Vor der Bochumer Synagoge übergab Franz Josef Lersch-Mense vom Vorstand der NRW-Stiftung (2.v.l.) die Förderurkunde an Dr. Anja Stuckenberger, Leiterin der Evangelischen Stadtakademie Bochum (3.v.l.) und Dr. Manfred Keller, Projektleiter Stelenweg (2.v.r.).
Mit dabei: Barbara Jeßel (links), Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Tourismus der Stadt Bochum, Marc Gräf, Bezirksbürgermeister Bochum-Südwest (3.v.r.) sowie Hans-Peter Herzog, Bezirksbürgermeister Wattenscheid (rechts)
Der Stelenweg bringt diese Geschichte, die Traditionen und die Gesichter der jüdischen Gemeinschaft wieder mitten ins Stadtbild. Elf Stelen hat die Evangelische Stadtakademie Bochum e. V. schon aufgestellt, drei kommen noch hinzu. Dieses Vorhaben unterstützt die NRW-Stiftung mit einem Fördergeld von bis zu 35.000 Euro. Franz-Josef Lersch-Mense, Vorstandsmitglied der Stiftung, überreichte nun die Förderurkunde an die Akademieleiterin, Pfarrerin Dr. Anja Nicole Stuckenberger. Er hob hervor: „Die Evangelische Stadtakademie engagiert sich seit vielen Jahren bei der Erforschung und Dokumentation der jüdischen Geschichte Bochums. Das verdient Unterstützung.“
Dr. Anja Stuckenberger dankte der NRW-Stiftung und gab ihrer Freude darüber Ausdruck, dass dieses Projekt der Erinnerungskultur nun ohne finanziellen Druck abgeschlossen werden kann. Projektleiter Dr. Manfred Keller bekräftigte den Dank. Er skizzierte Entstehung und Konzept des Projekts, ließ die ersten elf Stelen Revue passieren und gab einen Vorblick auf die Standorte und die Themen der abschließenden drei Stelen.

v.l.n.r.: Dr. Manfred Keller, Projektleiter Stelenweg; Franz Josef Lersch-Mense, Vorstand der NRW-Stiftung;
Dr. Anja Stuckenberger, Leiterin der Evangelischen Stadtakademie Bochum
Anfänge und Konzept des Stelenwegs
Die Idee des Stelenwegs wurde schon im Jahr 2001 entwickelt. Das Vorhaben musste lange um seine Anerkennung kämpfen. Erst im Jahr 2010 konnte die erste Stele vor der Synagoge in Bochum errichtet werden. Sie ist dem jüdischen Kantor Erich Mendel gewidmet, der in seiner Bochumer Zeit (1922 bis 1939) eine der weltweit größten Sammlungen jüdischer Musik begründete. – Der Stelenweg zeigt nie nur die Leiden jüdischer Menschen, sondern immer auch ihre Leistungen, ihre Bedeutung für das wirtschaftliche und kulturelle Leben unserer Stadt. Dieser Ansatz will dem Antisemitismus den Nährboden entziehen.
Die ganze jüdische Geschichte im Überblick
Zehn weitere Stelen folgten. Die zweite – an der Ecke Massenbergstraße / Schützenbahn – markiert die Anfänge jüdischen Lebens in Bochum: den ersten jüdischen Friedhof, die erste Synagoge und die erste jüdische Schule. Das 19. und beginnende 20. Jahrhundert waren die Blütezeit der ersten Jüdischen Gemeinde vor Ort. 1945 bewiesen jüdische Menschen – der Shoah entronnen – den Mut zum Neuanfang und gründeten eine zweite Jüdische Gemeinde in Bochum. Durch die Einwanderung russischsprachiger Juden aus der ehemaligen Sowjetunion entwickelte sich seit den 1990er Jahren die neue dritte Jüdische Gemeinde für Bochum, Herne und Hattingen. Diesen Neuanfängen sind die 7. Stele an der Brückstraße und die 11. Stele in Bochum-Laer gewidmet.
Junge Menschen arbeiten mit
Bei der Erarbeitung der einzelnen Stelen werden von Anfang an Schülerinnen und Schüler einbezogen, vor allem in Leistungskursen Geschichte. Die jungen Menschen sollen sich eigenständig mit dem Thema beschäftigen. Zum Konzept gehört auch, dass die Jugendlichen die Ergebnisse der Arbeit bei der Einweihung ihrer Stele in der Öffentlichkeit selbst vorstellen.
Ausblick
Im Ausblick auf die Zukunft wies Dr. Keller darauf hin, dass sich die Arbeitsgruppe für die Fortsetzung und Vollendung des Stelenwegs neu konstituieren muss, weil der Historiker Dr. Hubert Schneider von der Ruhr-Universität im vergangenen Jahr verstorben ist. Seine Forschungen trugen maßgeblich zum Projekt bei.
Die 12. Stele wird sich dem Jüdischen Leben in der ehemals selbständigen Stadt Wattenscheid widmen. Als Standort für die Stele ist die Ortsmitte Wattenscheid im Gespräch, etwa Nähe Saarland-Brunnen. Die Vorgespräche waren sehr freundlich und konstruktiv. Erfreulich ist auch, dass der ehemalige Wattenscheider Stadtarchivar Andreas Halwer die Einladung zur Mitarbeit angenommen hat. Die Jahrgangsstufe 11 des Maria-Sybilla-Merian-Gymnasiums wirkt ebenfalls mit.
Die vorletzte Stele soll in Linden errichtet werden. Die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner dieses Stadtteils gehörten zur Jüdischen Gemeinde Hattingen. Dies ist eine wichtige Verbindung, da die gegenwärtige Jüdische Gemeinde das Gebiet der heutigen Städte Bochum, Herne und Hattingen umfasst. Als Standort für die Stele ist die Ortsmitte Linden (an der Kath. Pfarrkirche Liebfrauen) ins Auge gefasst.
Am Anfang des Stelenwegs steht eine biographische Stele, die Stele für den deutsch-amerikanischen Kantor Erich Mendel. Am Ende des Wegs soll ebenfalls ein Erinnerungszeichen für eine herausragende Persönlichkeit der jüdischen Gemeinschaft in Bochum stehen: eine Stele für den jüdischen „Stadtrath“ Philipp Würzburger (1812-1877).
Würzburger war Gerber und Kaufmann, widmete aber viel Zeit und Kraft seinen Ehrenämtern – sowohl in der Jüdischen Gemeinde wie auch in der Stadt Bochum. Er war lange Jahre Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde und baute in seiner Ära in den Jahren 1863-65 die Synagoge und die Jüdische Schule an der Wilhelmstraße. In der Kommune war Philipp Würzburger nicht nur eines der ersten jüdischen Mitglieder des Rates der Stadt, er wurde auch ehrenamtlicher Beigeordneter und stellvertretender Bürgermeister. Zu seinen besonderen Verdiensten zählt der Einsatz für die Gründung des Stadtparks.
Das bevorstehende 150-jährige Jubiläum des Bochumer Stadtparks (2025/2026) ist eine hervorragende Gelegenheit, den nachhaltigen jüdischen Beitrag zum Gemeinwohl in Bochum durch eine Stele für Philipp Würzburger am oder im Stadtpark sichtbar zu machen.
Dr. Manfred Keller
Foto: Andreas Molatta