Zwi Rappoport,
Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.o.R.

Zwi Rappoport Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.o.R.

Liebe Gemeindemitglieder, Liebe Freunde,

wenn ich mich so in der Welt umschaue, habe ich Angst um die Zukunft unserer freiheitlichen liberalen Demokratie.

Der Rechtspopulismus hat in immer mehr Ländern zum Angriff auf die demokratische Grundordnung angesetzt. Die Schwäche der Demokratie war es schon immer, dass sie mit ihren eigenen demokratischen Mitteln abgeschafft werden kann; man denke nur an die Weimarer Republik! 

Denn einerseits sind freie Wahlen und die sich daraus ergebenden Mehrheiten ein wesentliches Element der freiheitlichen Demokratie. Andererseits können diese Mehrheiten die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte, wie z.B. den Minderheitenschutz, wieder abschaffen.

In den USA laufen bekanntlich vier Strafverfahren unter anderem wegen Wahlbetrugs gegen Donald Trump. Würde er dennoch 2024 für eine weitere Amtszeit ins Weiße Haus gewählt, wäre er demokratisch legitimiert, aber der Unterminierung der Demokratie wären Tür und Tor geöffnet.

Etwas Ähnliches geschieht heute in Israel. Da der Staat keine festgeschriebene Verfassung hat, war es das Oberste Gericht, dass immer wieder für die Einhaltung der Grundrechte und insbesondere des Minderheitenschutzes gesorgt hatte. Dessen Rechte sollen nun erheblich eingeschränkt werden, ohne dass stattdessen eine entsprechende Verfassung den Schutz von Minderheiten garantiert. Und auch Netanyahu steht als Angeklagter vor Gericht.

Hoffnung macht immerhin die Tatsache, dass seit acht Monaten hunderttausende Israelis die Gefahr für die Demokratie erkennen und wöchentlich demonstrieren. Umgerechnet auf Deutschland wären das jedes Wochenende mindestens zwei Millionen Demonstranten.

Und wie ist die Lage hier bei uns? Kaum besser!

Hier sind die Extremisten der AfD laut sämtlicher Umfragen mittlerweile die zweitstärkste Partei und könnten im nächsten Jahr die Regierungsmacht in einzelnen Bundesländern erringen. Wann protestiert bei uns eine vergleichbare Zahl für den Erhalt unserer Demokratie?

Während ich diese pessimistischen Zeilen schreibe, höre ich, wie unser Rabbiner das Schofarblasen für Rosch HaSchana übt. Das macht mir wieder Mut.

Ich wünsche uns allen ein gutes und friedliches Neues Jahr!

Schana Tova!