Zwi Rappoport,
Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.o.R.

Zwi Rappoport Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.o.R.

Liebe Gemeindemitglieder,
verehrte Leser,

in den letzten Wochen sind Hundertausende in Deutschland auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Der Kampf für die in unserem Grundgesetz verankerten Menschenrechte ist grundsätzlich ermutigend. Die „schweigende Mehrheit“ scheint endlich erkannt zu haben, welche Gefahren ausgehen von populistischen Kräften wie der AfD. Angesichts des Umstandes, dass diese zum Teil rechtsextreme Partei in drei Bundesländern zur stärksten politischen Kraft werden könnte, ist es höchste Zeit für solche Proteste.

Doch aus jüdischer Sicht fällt auf, dass der Antisemitismus auf diesen Demonstrationen kaum eine Rolle spielt. Warum nur sind alle gegen die diversen Arten von Menschenfeindlichkeit, sparen aber bemerkenswert häufig den Hass auf Juden aus?
Der Kampf gegen Rechtsradikalismus und für die Rechte von Minderheiten ist unglaubwürdig, wenn er nicht den Kampf gegen Judenhass mit einschließt. Antisemitismus hat tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft, weil er die demokratischen Werte untergräbt.

Zusätzlich ist uns schmerzhaft bewusst, dass die Solidaritätsdemonstrationen nach dem 7. Oktober nicht annähernd die Resonanz fanden wie die gegenwärtigen Massenproteste. Unser Eindruck hat sich verfestigt, dass man Israel und dem Schicksal der Juden eher neutral bis ablehnend gegenübersteht. Diese fehlende Empathie hat der Autor David Baddiel treffend „Jews don’t count“ („Juden zählen nicht“) genannt.

Unsere jüdische Gemeinschaft aber wird diese Art des Beiseiteschiebens und Verdrängens nicht akzeptieren. Tröstlich ist, dass zumindest den politisch Handelnden bewusst zu sein scheint, dass ein Deutschland ohne Juden kein demokratisches Deutschland mehr wäre. Das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Kampfes gegen Antisemitismus auch bei der breiten Masse der Bevölkerung zu entwickeln, bleibt eine Daueraufgabe.