Geboren in Auschwitz

Von den Tausenden Babys, die in Auschwitz geboren wurden, überlebten nur zwei das Grauen. Eine davon ist Angela Orosz-Richt, die bei einer Gedenkveranstaltung der Stadt Dortmund anlässlich des 79. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz – und am Schabbat auch in unserer Gemeinde in Dortmund – vor einem sichtlich bewegten Publikum im Reinoldihaus über das Schicksal ihrer Familie und der jüngsten Opfer des Konzentrationslagers berichtete.

Angela Orosz-Richt und ihre Mutter, Vera Bein

Angela Orosz-Richt

Hochzeitsfoto von Vera und Rechtsanwalt Dr. Tibor Bein, 1943

Angela Orosz-Richt stammt aus einer jüdischen Familie aus Budapest. Als ihrer Mutter Vera Otvos nach dem Abitur der Zugang zur Universität verwehrt wurde, zog sie nach Sarospatak in Ostungarn und heiratete 1943 den Rechtsanwalt Dr. Tibor Bein. Doch im April 1944 wurden Tibor und Vera Bein (Nachname nach der Heirat) aus ihrem Haus vertrieben. Es war Pessach, sie hatten nicht einmal Brot, das sie auf die Reise mitnehmen konnten. Ihre letzten gemeinsame Tage verbrachten sie im überfüllten Ghetto von Sátoraljaújhely. Nach einer dreitägigen Fahrt im geschlossenen Viehwaggon kamen Angelas Eltern in Auschwitz-Birkenau an und wurden für immer voneinander getrennt.

Bei ihrer Ankunft war Vera Bein im zweiten Monat schwanger und hoffte in ihrer Naivität, dass ihre Schwangerschaft bei Dr. Josef Mengele, der die Neuankömmlinge „selektierte“, Mitgefühl erregen würde. Doch offenbar glaubte Mengele ihr nicht, zischte ihr „blöde Gans“ zu und schickte sie ins Arbeitslager anstatt in die Gaskammer, wie es vielen anderen Schwangeren geschah.

„Die komplett abrasierten Köpfe, die Tätowierungen anstelle der Namen, einheitliche Uniformen und Holzschuhe – uns wurde jegliche Würde genommen, wir wurden nicht mehr als Menschen betrachtet“, erzählte sie Jahrzehnte später.

Vera Bein wurde mit der Aufgabe beauftragt, wertvolle Gegenstände der jüdischen Opfer herauszusuchen und in Haufen zu trennen: Schuhe, Wäsche, Kleidung. Die besten Kleidungsstücke wurden desinfiziert und unter der deutschen Bevölkerung verteilt. Später wurde Vera Bein zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen, sie baute Straßen, arbeitete auf den Feldern und aß Tierfutter, um zu überleben. Als sie diese Arbeit nicht mehr verrichten konnte, wurde sie in eine Baracke im Lager C geschickt. Dort kümmerte sie sich vor allem um die Zwillinge, die von Mengele und seinen Kollegen, die sich Ärzte nannten, für medizinische Experimente missbraucht wurden. Doch gegen Ende ihrer Schwangerschaft brachte der berüchtigte Lagerarzt Mengele Vera Bein in seine medizinische Versuchseinheit und unterzog sie einer Reihe pseudowissenschaftlicher Experimente, injizierte ihr eine brennende Flüssigkeit. „Er spritzte ihr mehrere Gifte in den Gebärmutterhals. Dadurch blieb meine Mutter unfruchtbar“, erzählte Angela Orosz-Richt. „Aber die SS hat es nicht geschafft, mich, den Fötus in ihrem Körper, zu töten. Letztendlich scheint Mengele sie vergessen zu haben. Sie wurde im Küchendienst eingesetzt und stibitzte rohe Kartoffelschalen, um etwas im Magen zu haben.“

Vera weigerte sich beharrlich, eine Abtreibung vorzunehmen, obwohl sie sich bewusst war, dass sie und ihr ungeborenes Kind im schlimmsten Fall beide in der Gaskammer enden könnten. „So kam es, dass meine Mutter im Dezember 1944, in einem kalten und trostlosen Winter, unter den schlimmsten Bedingungen, die man sich für eine Frau in den Wehen vorstellen kann, auf der obersten Pritsche in der Häftlingsbaracke und inmitten einer unsäglichen Brutalität, mich heimlich zur Welt brachte.“ Fünf Wochen nach der Geburt, am 27. Januar 1945, wurde Auschwitz befreit.

„Ich wog bei meiner Geburt weniger als ein Kilo. Alles andere als ein gesundes Gewicht. Ich konnte nicht weinen. Jedes Neugeborene weint … Aber ich tat es nicht. Ich war zu schwach. Selbst viel später, als ich ein Jahr alt war, weigerten sich die Ärzte zu glauben, dass ich es schaffen würde, dass ich überleben würde. Ich war so winzig und so schwach.“ Die weniger als 1,50 m große, zarte und zerbrechliche Angela Orosz-Richt trägt das Erbe von Auschwitz, des Hungers und der Misshandlungen ihrer Mutter bis heute.

Vera Otvos-Bein heiratete einen anderen überlebenden Witwer mit einem Kind und Angela wuchs in Ungarn bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater auf. Aber „der Antisemitismus, dieser tödliche Judenhass, war weder dort noch anderswo in Europa verschwunden. Er war immer noch da. Sogar direkt nach dem Krieg, direkt nach dem Holocaust.“

Niemandem, der den Horror miterlebt hatte, ging es jemals wieder gut. Für den Rest ihres Lebens konnte Angelas Mutter nicht duschen, nur baden, bis zu ihrem Tod hatte sie Angst vor bellenden Schäferhunden, vor Tunneln. In Albträumen während ihres Krebsleidens erschien ihr Mengele. Die physischen und psychischen Narben trug sie ihr ganzes Leben lang.

Angela Orosz-Richt begann erst mit 60 Jahren öffentlich über den Holocaust zu sprechen, 2015 besuchte sie zum ersten Mal ihren Geburtsort. Als Kind wollte sie den Geburtsort in ihrer Geburtsurkunde ändern, aber ihre Mutter sagte ihr, es sei ihr Erbe, sie würde später den Menschen erklären, was das bedeutete. Und so geschah es auch. Dank ihrer Zeugenaussagen wurden im vergangenen Jahrzehnt zwei ehemalige SS-Wachmänner wegen Beihilfe zum Mord in Auschwitz verurteilt. Sie sieht es als ihre Mission, für die zu sprechen, die nicht mehr sprechen können. Um sechs Millionen ermordeten Juden eine Stimme zu geben!

„Aber ich muss Ihnen etwas sagen: Ich glaube, die Welt hat den Holocaust vergessen! Welchen Sinn hat das Gedenken an den Holocaust noch, wenn wir Zeugen von Ereignissen wie dem in Israel am 7. Oktober 2023 werden?“, sagte sie in Dortmund. „Wieder einmal wurden Babys massakriert. Frauen wurden vergewaltigt und getötet. Selbst Überlebende des Holocaust wurden ermordet oder in den Gazastreifen verschleppt. Die Menschen in den Kibbuzim wurden nur aus einem einzigen Grund angegriffen: weil sie Juden waren.“

Entsetzt sprach Orosz-Richt davon, dass der Antisemitismus immer noch lebendig ist, der Judenhass drückt sich heutzutage in der Beschimpfung Israels aus. Und sofort nach dem 7. Oktober begannen Menschen auf der ganzen Welt nach Gründen zu suchen, warum die Hamas diese Gräueltaten begangen hat – und zeigten mit dem Finger auf die Opfer. „Auf die Opfer, ja. Nicht auf die Hamas. Nicht auf die Täter.“

„Was haben die Menschen auf der ganzen Welt wirklich aus der Shoah gelernt?“, fragte Angela Orosz-Richt und versicherte, dass zumindest das jüdische Volk einiges gelernt hat. „Wir haben gelernt, dass wir nie wieder wehrlos sein dürfen. Dass wir, wenn Israel angegriffen wird, zusammenstehen müssen gegen diejenigen, die uns vernichten wollen.“ Und ohne die israelische Armee wären die Juden nirgendwo auf der Welt sicher. „Und sie werden die Hamas besiegen und zerstören. Denn das ist die einzige Option, die Israel hat.“

Hana Kopelewitsch
Foto: Arnd Lülfing, Stadt Dortmund