Erinnert euch an ihn auf diese Weise

Am 9. März 2025 war der 100. Geburtstag von Rolf Abrahamsohn. Dieser Mensch hat die Schrecken des Holocaust überlebt, hat sieben Konzentrations- und Arbeitslager, Diskriminierung, Gewalt und Folter, Vertreibung und den Tod von Verwandten überstanden. Doch ungeachtet all der Strapazen hat Herr Abrahamsohn nicht nur in sich die Kraft gefunden, um weiterzuleben, sondern auch alles getan, damit sich dies niemals mehr wiederholt.

Rolf Abrahamsohn war eines von vier Kindern des Besitzers eines Geschäfts für Bekleidung und Schuhe in der Stadt Marl. Sein Vater Arthur kämpfte an den Fronten des Ersten Weltkriegs für Deutschland, was im Weiteren weder ihn noch seine Familie gerettet hat. Im Jahr 1938 wurde die Familie Abrahamsohn nach dem November-Pogrom aus Marl vertrieben und ihr Haus wurde enteignet. Hier breitete sich das Hauptquartier der örtlichen Abteilung der NSDAP aus.

Rolf Abrahamsohn (geboren 9. März 1925 in Marl;
gestorben am 23. Dezember 2021 in Marl)

Die Familie musste in das „jüdische Haus“ in Recklinghausen umziehen. Hierher brachte man die jüdischen Familien des Bezirks für ein „kompaktes Wohnen“. Der Vater und sein ältester Sohn wurden festgenommen und mussten nach der Befreiung aus dem Gefängnis nach Belgien fliehen.

Weil das Geld für die Flucht nur für zwei reichte, blieben die anderen Familienmitglieder in Deutschland. Im Alter von 14 Jahren musste Rolf Abrahamsohn erstmals Zwangsarbeit in der Firma Ruhrgas in Gelsenkirchen leisten. Die Verfolgung der Juden und die Beschränkung ihrer Rechte wurden immer stärker. Im Jahr 1940 stirbt der jüngere Bruder Rolfs an Diphtherie. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof Recklinghausens bestattet. Es war die einzige Grabstätte, die Herr Abrahamsohn besuchen konnte, die übrigen Familienmitglieder wurden in Gemeinschaftsgräbern verschiedener Konzentrationslager beerdigt.

Im Januar 1942 wurden Mutter und Sohn gemeinsam mit anderen Juden in das Ghetto von Riga deportiert. Die Mutter wurde zur Überarbeitung alter Heizkörper eingeteilt. Die Arbeiten wurden ohne jegliche Schutzmittel mit bloßen Händen durchgeführt. Schon bald erlitt sie wegen der Einwirkung von Batteriesäure starke Verbrennungen, wurde arbeitsunfähig und man erschoss sie. Aus der Erzählung Herrn Abrahamsohns am 6. November 2017: „Als ich davon erfuhr, wollte ich mich in den Elektrozaun des Lagers stürzen. Doch meine Freunde hielten mich davon ab. Sie sagten, dass ich leben muss, denn mein Vater suchte mich.“

Er überlebte das Ghetto von Riga, das Konzentrationslager Kaiserwald, das KZ Stutthof, das KZ-Außenkommando Brüllstraße in Bochum. Hier war er mit der Entschärfung von Bomben beschäftigt und arbeitete in der Waffenproduktion. Danach kam Buchenwald und in den letzten Wochen des Krieges brachte man ihn gemeinsam mit anderen Gefangenen ins Lager Theresienstadt.

In diesen Tagen war er sehr schwer unterernährt. Er war sehr schwach und konnte nicht arbeiten. Vor der Erschießung haben ihn Freunde gerettet, die ihn versteckten. Laut den Erinnerungen Herrn Abrahamsohns wog er im Jahr 1945, als ihn die Rote Armee befreite, 39 Kilogramm und konnte sich nicht selbständig bewegen.

In der Hoffnung, seine Familie zu finden, kehrte er nach Marl zurück. Dass sein Vater und älterer Bruder 1943 in Auschwitz ermordet wurden, erfuhr er erst viel später.

Er hat in sich Kräfte gefunden, um weiterzuleben, ungeachtet des starken Antisemitismus, der sogar nach 1945 in Deutschland erhalten blieb. Gemeinsam mit einem Freund baute er das Geschäft seiner Eltern wieder auf und gründete eine Familie, wobei er einer der 12 Juden war, die nach dem Ende des Krieges zurückgekehrt waren und begonnen hatten, das jüdische Leben hier wieder aufzubauen.

Rolf Abrahamsohn war ein deutscher Kaufmann jüdischen Glaubens aus Marl und als Überlebender mehrerer NS-Konzentrationslager ein wichtiger Zeitzeuge

Seit Beginn der 70er Jahre nahm er aktiv am Leben der Gemeinde Recklinghausen-Bochum teil und war einer ihrer Gründer. 1978 bis 1992 war er auch Vorsitzender der Gemeinde. Herr Abrahamsohn führte ein weitreichendes Gemeindeleben, war wohltätig aktiv, nahm an der Arbeit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit teil. Zum Andenken an seine Eltern und Brüder kaufte er ein Grundstück für die Schaffung eines Waldes in Israel, auf dem 5.000 Bäume gepflanzt wurden. Ein weiterer Baum als Erinnerung an ermordete Verwandte pflanzte er am 3. November 2013 auf dem jüdischen Friedhof Recklinghausens.

Er war ein häufiger Gast in Schulen und verschiedenen Lehranstalten und in den letzten Jahren seines Lebens lud man ihn oft in das Polizeipräsidium des Bezirks ein, für Gespräche mit werdenden Polizisten. Diese Treffen wuchsen zu einer engen Verbindung und warmen zwischenmenschlichen Beziehungen heran. In den Fluren des Gebäudes des Polizeipräsidiums hängt ein Portrait von Herrn Abrahamsohn, sowie kleine Teppiche, die er selbst gemacht hatte.

Charmant, einfallsreich, ironisch, mit einem guten Sinn für Humor konzentrierte Rolf Abrahamsohn die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich – er hielt keinen Vortrag, sondern unterhielt sich mit den jungen Leuten auf Augenhöhe. Seine Geschichten hörte man mit aufrichtigem Interesse. Ein Rabbiner sagte ihm einmal: „Wenn du es schaffst, wenigstens einen Menschen in einem ganzen Publikum davon zu überzeugen, dass die Juden nicht schlechter als andere Menschen sind, erreichst du schon viel.“

Im Jahr 2011 ehrte der Bezirk Recklinghausen Herrn Abrahamsohn mit dem Titel des Ehrenbürgers. Und 2020 erhielt er den Orden „Für die Verdienste am Land Nordrhein-Westfalen.“

Am 23. Dezember 2021 ist er von uns gegangen. Er lebte ein langes, würdiges und sehr schwieriges Leben. Dieser starke Mensch mit großem Herzen hat eine positive Erinnerung an sich und den Auftrag für uns alle hinterlassen: „Alles dafür tun, dass die schreckliche Zeit der Geschichte, die man Holocaust nennt, sich niemals mehr wiederholt“.

Irina Barsukowa, Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen
Foto: Archiv der Jüdische Gemeinde Kreis Recklinghausen