Solidarität in Bewegung

An der Übergabezeremonie des Rettungswagens nahmen Freiwillige und Mitarbeiter
der Rettungsstation
in Zfat, die MADA-Leitung und der Bürgermeister der tadt, Herr Yossi Kakun, teil

„…und in diesem Haus habe ich fünf Stunden lang mit aller Kraft die Türklinke des geschützten Raumes festgehalten, um meine Familie vor den in unseren Kibbuz und mein Haus eingedrungenen Hamas-Terroristen und den „Zivilisten“ aus Gaza, die mit ihnen kamen, zu schützen“, erzählt uns Nir Metzger und zeigt mit der Hand auf das einzige unversehrte Haus in einer Reihe ausgebrannter Gebäude in einer Straße des Kibbuz Nir Oz.

In diesem Haus, das die Terroristen zu ihrem Hauptquartier machten, verbrachte er fünf Stunden, in denen er die Klinke des geschützten Raumes festhielt. Diese Türklinke, die hunderte Male in diesen fünf Stunden von außen mit Gewalt zu öffnen versucht wurde, war die einzige Barriere zwischen dem Tod und ihm, seiner Frau und seinen beiden Kindern.

Das „Uns“, von dem ich erzähle, ist die Delegation der Jüdischen Gemeinde Dortmund, vertreten durch den Vorsitzenden Zwi Rapoport, den Ehrenvorsitzenden Wolfgang Polak und mich, den Verfasser dieser Zeilen.

Ziel unserer Reise war es, die Hilfe zu überbringen, die unsere Gemeinde in zwei Etappen zur Unterstützung des jüdischen Volkes im Heiligen Land gesammelt hat. Die erste Sammlung wurde unmittelbar nach der Tragödie vom 7. Oktober ausgerufen – für die Anschaffung eines Rettungswagens für Israel, für Magen David Adom. Die zweite Sammlung wurde von Herrn Polak anlässlich seines 90. Geburtstags initiiert. Anstelle von Geschenken bat er darum, für die Opfer im Kibbuz Kfar Aza zu spenden, dessen Bewohner unsere Gemeinde mehrfach besucht und hier Freundschaften geschlossen hatten.

Bei der Übergabe der Spenden von Herrn Polak wurde uns angeboten, mit eigenen Augen die Folgen der Gräueltaten der Terroristen an der Zivilbevölkerung zu sehen. Deshalb kehre ich zur Beschreibung des Gesehenen zurück.

Nir führt uns durch seinen Heimatkibbuz. Nir Metzger wurde im Kibbuz Nir Oz geboren, verbrachte dort sein Leben, gründete eine Familie und zog Kinder groß. Seine Eltern wurden am 7. Oktober 2023 von Terroristen aus ihrem Haus nebenan entführt. Nirs Vater, Yoram Metzger, einer der Gründer des Kibbuz, wurde von Terroristen ermordet, während er in Gefangenschaft in den Tunneln des Gazastreifens war. Seine Mutter, Tami, wurde während des ersten Geiselaustauschs freigelassen.

Nicht weit entfernt steht ein weiteres Haus, bis vor kurzem voller Leben, nun herrscht dort Leere. Vor dem Haus stehen Blumen und Spielzeuge, überwiegend in orange. Es ist das Haus der Familie Bibas, aus dem die bekannten „Rotschöpfe“, die Kleinkinder Kfir und Ariel, und ihre Mutter Shiri, die sie bis zuletzt schützte, von Mördern in den Tod nach Gaza verschleppt wurden. Vor dem 7. Oktober lebten rund 600 Menschen im Kibbuz Nir Oz, heute nur noch einer.

Zwischen den verkohlten Häusern – wie die meisten Häuser des Kibbuz – laufen Pfaue umher, blühen Kakteen, Bäume und Blumen. Wenn man die Augen zusammenkneift und seine Fantasie bemüht, kann man sich vorstellen, wie wunderschön Nir Oz vor dem Einfall der Mörder war, die Mörder lebten weniger als zwei Kilometer vom Kibbuz entfernt. Nir, unser Führer, lebt heute nicht mehr dort, kommt aber täglich in seine Werkstatt zurück, in der er landwirtschaftliche Maschinen repariert. Auf die Frage, ob er in seinen Heimatkibbuz zurückkehren wolle, antwortet Nir: „Wenn es hier wieder sicher ist, vielleicht kommen wir zurück …“ 

Im benachbarten Kibbuz Kfar Aza, den wir einige Stunden zuvor besucht hatten, zeigte uns eine 19-jährige Frau namens Rona Epstein ein Haus. An der weißen Hauswand am Eingang prangt in Filzstift eine schreckliche Notiz, hinterlassen von den Freiwilligen von ZAKA (Freiwilligendienst zur Identifizierung von Leichen): „Blutreste im Zimmer und im ganzen Wohnzimmer. 23.10.“

In diesem Haus wurde am 7. Oktober 2023 ihr Bruder Netta Epstein ermordet. Unter dem Bett versteckte sich seine Verlobte, die von den Terroristen nicht bemerkt wurde, da Nettas Leichnam die Lücke zwischen Boden und Bett verdeckte. Sie lag mehrere Stunden zwischen Boden, Bett, Wand und dem Körper ihres Verlobten, bis Soldaten der Israelischen Verteidigungsarmee sie befreiten.

An diesem Tag besuchten wir auch den Ort des tragisch berüchtigt gewordenen Jugendfestivals „Nova“, bei dem Hamas und ihre Helfershelfer hunderten jungen Menschen das Leben nahmen, sowie einen Autofriedhof – einen Platz, auf dem Tausende Fahrzeuge aus der Umgebung zusammengetragen wurden. Diese Autos wurden am 7. Oktober ganz oder teilweise zerstört, in vielen von ihnen wurden unschuldige Menschen getötet oder bei lebendigem Leib verbrannt – ohne jede Ahnung, dass Schabbat und Simchat Tora der letzte Tag ihres Lebens sein würden.

Die eigentliche Übergabe der Spendenurkunde über 20.000 €, gesammelt anlässlich des Geburtstages von Herrn Polak, fand ohne feierliche Zeremonie statt – denn es fällt schwer, sich vorzustellen, wann in diese Gegend wieder Festlichkeit und Freude zurückkehren werden. Doch ich kann mit Sicherheit sagen, dass das Gesehene uns noch stärker in Solidarität, Einheit und Unterstützung mit unseren Brüdern und Schwestern im Heiligen Land verbunden hat.

Ein Tag zuvor: Zfat – die Stadt der Kabbalisten, hoch in den Bergen im Nordosten Israels gelegen. Die antike Stadt gilt als eine der vier heiligen Städte Israels und war, so sagt man, die Hauptstadt des Studiums der verborgenen Tora, der Kabbala. In dieser Stadt lebten und wirkten große Lichter des Judentums, wie etwa der Autor des wichtigsten Gesetzeskodex des Judentums, Rabbi Josef Karo. Auf dem alten Friedhof dieser Stadt ruhen Weise der Mischna und des Talmuds. Im Laufe der Zeit ist die Stadt gewachsen, und die Mehrheit der Bewohner lebt heute in modernen Vierteln und arbeitet in Betrieben in der Stadt und ihrer Umgebung. Während des Krieges, der am 7. Oktober begann, litt die Stadt stark unter Raketenbeschuss aus dem Libanon.

Die Leitung des israelischen Rettungsdienstes Magen David Adom – kurz MADA – schlug uns Zfat als Standort für den von uns gespendeten Rettungswagen vor, basierend auf den operativen Bedürfnissen der Bevölkerung und der Organisation. Selbstverständlich unterstützten wir ihre Entscheidung. Es ist wichtig zu betonen, dass MADA eine nichtstaatliche Organisation ist, obwohl sie wie ein nationaler Rettungsdienst funktioniert. Direkte staatliche Finanzierung erhält sie nicht. Ihr Budget besteht aus Zahlungen der Krankenkassen und Versicherungen für erbrachte Leistungen, was für laufende Kosten ausreicht. Aber die Anschaffung von Ausrüstung und Fahrzeugen erfolgt ausschließlich durch Spenden. Deshalb ist unsere Hilfe – wie auch ähnliche Spenden von Wohltätern aus aller Welt – unerlässlich, um Kranke und Verletzte in Notlagen zu retten.

Ich denke, es interessiert meine lieben Leserinnen und Leser, dass 90 % der Belegschaft von MADA aus Freiwilligen besteht – einer von ihnen war auch der Verfasser dieser Zeilen.

An der Übergabezeremonie des Rettungswagens nahmen Freiwillige und Mitarbeiter der Rettungsstation in Zfat, die MADA-Leitung und der Bürgermeister der Stadt, Herr Yossi Kakun, teil. Herr Kakun und die MADA-Vertreter hielten Dankesreden gerichtet an unsere Gemeinde für ihre Hilfe und Unterstützung und erzählten von dem Leid, das die Stadt während der monatelangen Angriffe der Terrororganisation Hisbollah erlebte. In meiner Erwiderung dankte ich MADA mit Hilfe einer chassidischen Geschichte für die Möglichkeit und Ehre, Teil derer zu sein, die bei ihrem heiligen Werk – Leben zu retten – mithelfen.

Ein weißer Rettungswagen mit roten Schriftzügen und Lichtern, angeschafft durch die Spenden der Jüdischen Gemeinde Dortmund mit Unterstützung der Gemeinde Münster, fuhr auf den Hof und reiht sich fortan in die Fahrzeuge des Rettungsdienstes der Stadt Zfat ein. Von nun an wird dieses Fahrzeug, auf dessen Türen ein Schriftzug prangt, der es als Geschenk unserer Gemeinde ausweist, im Einsatz sein, um in Zfat und Umgebung Leben zu retten.

Die Tragödie vom 7. Oktober war der blutigste Tag unseres Volkes seit der Schoah. An diesem Tag wurden mehr als 1200 Menschen nur deshalb ermordet, weil sie sich in Israel aufhielten und dem jüdischen Volk angehören. Leider war gerade dieser furchtbare Tag ein Auslöser für die weltweite Solidarität der Juden, und unsere Hilfe für Israel ist eines von vielen Zeichen dieser Einigkeit. Ich bete aufrichtig, dass wir in Zukunft keine Tragödien mehr brauchen, um unseren Zusammenhalt zu bewahren, und hoffe von Herzen, dass die Hilfe, zu der viele Mitglieder und Freunde unserer Gemeinde beigetragen haben, Israel Gutes bringen wird!

Wolfgang Polak, Zwi Rappoport und Rabbi Avigdor Nosikov
sind gemeinsam vor dem Kotel ha-Maaravi in Jerusalem

Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov
Foto: Eliran Avital & Avigdor Moshe Nosikov