Wandelkonzert mit Benjamin Appl am 9. Mai 2025 – ein besonderes musikalisch-historisches Erlebnis
Auf den Spuren jüdischer Stadtgeschichte zum 80. Jahrestag des Kriegsendes
Die Idee des Wandelkonzerts ist vom Konzerthaus Dortmund an die Jüdische Gemeinde herangetragen worden. Diesem Projekt wurde seitens der Gemeinde sofort zugestimmt.
Wir begaben uns auf ein Wandelkonzert durch die Dortmunder Innenstadt, um hier vor Ort den Spuren zu folgen, um sich die Erinnerung an diesen Tag und die schrecklichen Jahre des Nationalsozialismus bewusst zu machen, um sich Geschichten von Dortmunder Bürgerinnen und Bürgern sowie Momente des Leids und der Zerstörung zu vergegenwärtigen. Um nicht zu vergessen. Um das zu bewahren, was uns vor der Wiederkehr der Schrecken schützen muss.
Denn gerade angesichts der um sich greifenden Schlussstrichmentalität ist es umso wichtiger, sich an die Befreiung unseres Kontinents vom nationalsozialistischen Terror zu erinnern.
Der musikalische Spaziergang durch die jüdische Stadtgeschichte begann in der Synagoge.
Die 150 Anwesenden wurden von unserem Vorsitzenden Zwi Rappoport und dem Intendanten des Konzerthauses Raphael von Hoensbroech willkommen geheißen und begrüßt.
Benjamin Appl, der weltweit gefeierte Bariton, begleitet auf dem Klavier von dem herausragenden Pianisten James Baillieu, einer der führenden Lied- und Kammermusikpianisten seiner Generation, hatte mit seinem Repertoire wie das „Kaddisch“. Ein Ghetto-Lied von Otto Stransky oder „Aus den hebräischen Gesängen“ von Robert Schumann, Lieder für dieses Ereignis ausgewählt, die die Herzen und Seelen der Zuhörer, auch wegen des besonderen Ambiente, bewegten.
Danach stimmten zum Mitsingen alle ein in „Shalom chaverim“.
Einige Besucher sagten, dass sie die Synagoge anders verlassen hätten, als wie sie hereingekommen sind.
Von der Synagoge aus ging man gemeinsam zur zweiten Station des Wandelkonzertes zu den „Gleisen am Dortmunder Südbahnhof“.
Hier wurden am frühen Morgen des 2. März 1943 ungefähr 300 Jüdinnen und Juden aus Dortmund und Westfalen zum Südbahnhof gebracht. Von diesem Bahnhof, der 1963 stillgelegt wurde, wurden sie gemeinsam mit 200 weiteren Jüdinnen und Juden aus dem Südwesten und dem Rheinland, die am Tag zuvor Dortmund erreicht hatten, in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau transportiert. Die meisten Dortmunderinnen und Dortmunder aus diesem Transport wurden in den Gaskammern von Birkenau ermordet.
Benjamin Appl hatte für diese Station u. a. die Lieder „Ich wandre durch Theresienstadt“ und „Wiegala“ ausgesucht, zu denen er von seiner Mutter, Edeltraud Appl, an der Gitarre begleitet wurde. Es war ein ganz besonderer Augenblick, an diesem Ort schweigend den Künstlern zuzuhören.
In dem Moment, als während des Gesangs ein Zug vorbeifuhr, stockte bei einigen der Atem und wir bekamen Gänsehaut. Zutiefst bewegt und schweigend verließen wir die Gleise, um uns an den nächsten Ort zu begeben.
Gemeinsam, zum Teil nachdenklich und in sich gekehrt, gingen wir Richtung Innenhof Krämer Kornbrennerei, Schwanenwall 31, gegenüber dem Schwanenwall 29, Sitz der jüdischen Gemeinde von 1949-1956.
Von den einst 4500 Mitgliedern der Dortmunder Jüdischen Gemeinde waren 2200 ins Ausland geflohen und hatten sich so retten können. 2050 jüdische Frauen, Männer und Kinder wurden ermordet. Kaum eines der Opfer des Holocaust fand eine würdige Grabstätte. In den ersten neun Monaten nach Kriegsende kehrten aus befreiten Konzentrations- und Arbeitslagern etwa 80 Überlebende zurück.
Schon im Sommer 1945 hatte die Reorganisation der jüdischen Gemeinde ihren Anfang genommen. Die Überlebenden wählten Siegfried Heimberg, Max Rosenbaum, Gustav Steinweg und Sally Machol in den neuen Gemeindevorstand.
Zu Chanukka, im Dezember 1946, konnte die jüdische Gemeinde dann in einem stark beschädigten Gebäude am Schwanenwall 29 ein neues Gemeindehaus mit Betsaal einweihen. Dort wurde jeden Schabbat Gottesdienst gehalten.
Siegfried Heimberg wies in seiner Ansprache darauf hin, dass trotz aller Verfolgung die innere Kraft ungebrochen sei, dass diese Kraft das Neue aus dem Nichts errichtet habe.
Die musikalische Darbietung im Innenhof Krämer Kornbrennerei war tituliert: „Zerstörung & Neubeginn“ und enthielt u. a. Lieder von Hanns Eisler, „Lied einer deutschen Mutter“, Erich Wolfgang Korngold, „Der Friedensbote“. In diesem atmosphärisch schönen Innenhof wurden wir mit einer Erfrischung empfangen und genossen die Darbietungen der Künstler Benjamin Appl und James Baillieu sitzend auf bereitgestellten Stühlen.
Der musikalische Spaziergang endete im Konzerthaus Dortmund und fand mit dem Programmpunkt: „Frieden“ seinen würdigen Abschluss.
Wir konnten dort die Künstler hautnah auf der Bühne erleben, auf der alle Zuhörer Platz fanden. Eine ganz neue Perspektive mit Blick in den Zuschauerraum und ganz nah an den Ausführenden, die abschließend mit Liedern von
- Adolf Strauss „Ich weiß bestimmt, ich werd’ dich wiedersehen“,
- Hanns Eisler, „Friedenslied“,
- Robert Schumann, „Ins Freie“,
- Alan Murray, „I’ll walk beside you“,
- Richard Strauss „Morgen“
brillierten und begeisterten.
Am Ende des Konzertes sangen alle gemeinsam den Kanon „Dona nobis pacem“ – Gib uns Frieden.
Diese Veranstaltung war sowohl für die Künstler, das Konzerthaus, für die Jüdische Gemeinde Dortmund als auch für alle Teilnehmenden, die diesen musikalischen Spaziergang mitgegangen sind, ein Novum.
Doch am Ende des Tages waren sich alle einig: Es war perfekt – berührend, eindringlich und von großer Bedeutung.
Barbara Samuel mit Textauszügen von Volker Bürger und Johanna Ruppert
Foto: Holger Jacoby