Überleben, um weiterzuleben
Am 8. März dieses Jahres wurde im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten die Ausstellung „Rolf Abrahamsohn – das Leben deutscher Juden im 20. Jahrhundert“ eröffnet. Die Eröffnung der Ausstellung hing mit dem 100. Geburtstag Herrn Abrahamsohns zusammen. Hier sind Ausschnitte aus seinen Interviews gesammelt worden, Fotos, Dokumente, persönliche Gegenstände. Auch wenn die Ausstellung nur dem Leben einer Person gewidmet ist, gibt sie doch einen Überblick über die wichtigsten Ereignisse im Leben der Juden in Deutschland im 20. Jahrhundert.
Am Beispiel einer Familie kann man beobachten, wie ihr Leben sich unter dem Druck durch das Naziregime veränderte, welche Prüfungen sie durchgemacht haben, wie sie sich bemühten, ihre Kultur und Würde während der Verfolgung zu bewahren. Wie die Reparationen in der Nachkriegszeit abliefen, wie die Wiederherstellung des jüdischen Lebens in Deutschland geschah. Die Geschichte und Gesellschaft werden durch Menschen gestaltet, durch ihre Erfahrung, ihre Ansichten und Handlungen.

Rolf Abrahamsohn, Einschulung 1931

Die Brüder Hans, Norbert und Rolf Abrahamsohn, ca. 1933
Dem Publikum wird ein Blick auf das Leben der Juden in Deutschland im 20. Jahrhundert geboten, durch die Augen von Rolf Abrahamsohn. Von einer gleichberechtigten Koexistenz zu Beginn des Jahrhunderts bis zur Verfolgung und Massenvernichtung in den Jahren des Naziregimes, von der Rückkehr einiger weniger Überlebender, der Wiederherstellung der kulturellen und religiösen Traditionen, der schweren Überwindung der Traumata der nahen Vergangenheit, bis zur massenweisen Einwanderung von Juden in den 1990er Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Integration neuer Generationen von Juden in die moderne deutsche Gesellschaft. Er war Zeuge und Beteiligter dieser Ereignisse und trug in vielem zu den Geschehnissen bei.
Er leistete viel öffentliche Arbeit, beschäftigte sich mit Wohltätigkeit. Seit dem Beginn der 70er Jahre nahm er aktiv am Leben der Gemeinde Recklinghausen-Bochum teil. Er war einer ihrer Gründer – und von 1978 bis 1992 auch der Gemeindevorsitzende. Er war bei der Arbeit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit aktiv und maß der Arbeit mit Jugendlichen große Bedeutung bei. Er sprach mit Schülern und Studenten verschiedener Lehranstalten und mit jungen Polizisten.
Und nun kamen ins Museum zur Ausstellung, die von der Leitung der Gemeinde des Bezirks Recklinghausen organisiert wurde, erwachsene Gemeindemitglieder und Vertreter der Kinder- und Jugendgruppe. Die Ausstellung und die Erzählung des Museumsführers riefen bei allen tiefe Emotionen und Überlegungen hervor. Die gesammelten Ausstellungsstücke machen einen tiefen und bewegenden Eindruck, indem sie Mitleid und Respekt vor dem Erlebten wecken. „Heute haben wir alle, und besonders die Kinder, am Beispiel von Rolf Abrahamsohn eine Lehre in moralischer Standfestigkeit und unglaublicher geistiger Kraft bekommen. Wie man in unmenschlichen Bedingungen überlebt und sein Leben weiter fortsetzt“, formulierte Elena Nikolay, eine der Besucherinnen, sehr treffend den Gesamteindruck.
Diese Landkarte zeigt die Route von Rolf Abrahamsohn durch verschiedene Ghettos und Konzentrationslager
Auch wurden wir Zeugen einer kleinen historischen Suche. Eine Frau, die sich im Museum unserer Exkursionsgruppe angeschlossen hatte, wandte sich an den Museumsführer. Ihr Name ist Annette E., sie sucht seit vielen Jahren nach Informationen über ihren Großvater mit dem Nachnamen Gottschalk. Er lebte im Bezirk Recklinghausen und war vermutlich jüdisch, doch nach 1933 trat er zum Katholizismus über und zog in die Saar um. Wie sie erfahren hatte, war der Mädchenname der Mutter von Rolf Abrahamson – Else Abrahamsohn-Gottschalk. Annette E. vermutet, ihr Großvater könnte mit Else verwandt gewesen sein. Sie kam aus der Saar und besuchte das Jüdische Museum in der Hoffnung, etwas zu erfahren und bat um Hilfe bei der Suche, wenn es möglich sei. Annette E. war sehr beeindruckt von der Geschichte der Familie Abrahamsohn. „Natürlich habe ich Geschichte in der Schule gelernt und wusste über den Holocaust Bescheid. Doch all die Tiefe der menschlichen Tragödie und wie stark persönliche Geschichten sich mit größeren Ereignissen verflechten, ist mir erst heute bewusst geworden.“

In schlaflosen Nächten quälten Rolf Abrahamsohn Erinnerungen. Dann webte er Teppiche mit Motiven aus der jüdischen Kultur. Hier ist einer der Teppiche, die Rolf Abrahamsohn geschaffen hat

Die Kinder aus unserer Gemeinde hörten sich den Vortrag über Rolf Abrahamsohn sehr aufmerksam und interessiert an. Sie waren vom Entstehungsprozess des Teppichs fasziniert, schauten sichdas Schema genau an und beschlossen, selbst einen Teppich zu knüpfen
v.l.n.r.: Jascha Nikolay, Alessia Nikolay, Oleksii Tkachenko
Wir alle waren von der Ausstellung „Rolf Abrahamsohn – das Leben deutscher Juden im 20. Jahrhundert“ sehr beeindruckt. Sie fördert auf jeden Fall die Erweiterung des Wissens über die schwierige und vielseitige Geschichte der jüdischen Gemeinde in Deutschland. Und sie ruft in den Zuschauern auch das Gefühl von Verständnis und Verantwortung hervor, die Wiederholung der vergangenen Tragödie zu verhindern.
Im Namen unserer Gruppe haben die jungen Teilnehmer Nikol Matlina und Georg Shekun einen Dankes-Beitrag im Gästebuch des Museums hinterlassen.


Artikel & Foto: Irina Barsukowa, Jüdische GemeindeKreis Recklinghausen
Außerdem werden Fotos aus dem privaten Archiv der Familie Abrahamsohn gezeigt