Zwi Rappoport,
Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.o.R.

Zwi Rappoport Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.o.R.

Liebe Gemeindemitglieder,

vor wenigen Wochen haben wir an die Pogrome des 9. November 1938 erinnert – jene Nacht, in der vor 87 Jahren mehr als 1400 Synagogen und Gebetshäuser niedergebrannt, tausende jüdischer Geschäfte geplündert und verwüstet und hunderte unserer Glaubensbrüder ermordet wurden. Dieser Gedenktag wird jedes Jahr an vielen Orten gerade auch von offizieller Seite und von der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft mit großem Ernst und angemessener Würde begangen.

Diese deutsche Gedenkkultur und das in ihr erfolgreich beschworene „Nie wieder!“ haben mit dazu beigetragen, dass wir uns als Juden über Jahrzehnte hier in Deutschland wieder sicher und gut aufgehoben gefühlt haben.

Aber die unterschiedliche Perspektive des deutschen „nie wieder Krieg“ oder „nie wieder Täter“ zu unserem jüdischen „nie wieder wehrloses Opfer“ wurde immer deutlicher, je bedrohlicher der wachsende Antisemitismus wurde.

Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des größten und grausamsten Angriffs auf Juden seit der Schoah ist diese Perspektive des „nie wieder Opfer“ nicht nur für Israel, sondern auch für die Juden in der Diaspora allein maßgeblich.

Zum Gedenken am 9. November oder am 27. Januar war daher für die meisten Juden richtigerweise die Thematisierung des genozidalen Angriffs auf Israel vom 7. Oktober und des darauffolgenden explosionsartig angestiegenen Antisemitismus weitaus dringlicher als der historische Hintergrund des jeweiligen Gedenktages.
So wichtig und bedeutend das Gedenken an unsere ermordeten Vorfahren immer bleiben wird:
Aktuell muss vorrangig an die existentielle Gefahr für Israel und dem Judentum in der Diaspora erinnert und gemahnt werden.

Daher wird der 7. Oktober auf absehbare Zeit der vielleicht wichtigste Gedenktag für uns bleiben. Dieses Datum steht nicht nur für ein historisches Ereignis, aus dem wir unsere Lehren ziehen sollten, sondern für unsere aktuellen Lage und die reale Möglichkeit eines „doch wieder“.

Hoffnung macht uns, dass nach zwei Jahren endlich alle noch lebenden Geiseln frei sind und in Israel ein dauerhaftes Ende des Krieges möglich erscheint. Doch an dem Hass auf Israel und die Juden hat sich leider noch wenig geändert.

In Kürze feiern wir Chanukka – das Fest des Lichts. Ein Fest des Wunders, als ein kleiner Ölvorrat, der nur für einen Tag bemessen schien, ganze acht Tage lang den Tempel erleuchtete, bis neues, reines Öl zubereitet war. Zusammen mit diesem Wunder gedenken wir auch des Mutes der Makkabäer, die einen weitaus stärkeren Feind besiegten. Und auch hierin liegt eine Parallele zu unserer Zeit: Die Geschichte des jüdischen Volkes lehrt uns, dass selbst wenn die Dunkelheit der Nacht unüberwindbar zu sein scheint: letzten Endes wird das Licht die Finsternis durchdringen.

Deshalb ist Chanukka ein Freudenfest mit der klaren Botschaft:
Verzweifelt nicht und gebt nie auf! Selbst wenn alles verloren scheint, verliert nie den Mut!

Daher lasst uns – allen Ängsten und Krisen zum Trotz – nicht auf die freudige Tradition verzichten. Lasst uns diese finsteren Zeiten mit Licht erhellen – mit unserer Anwesenheit, unserer Einigkeit und unserem Glauben an das Leben.

Ich wünsche Ihnen allen
Chanukka Sameach! Am Israel Chai!

Zum Abschluss der Gedenkfeier zum 87. Jahrestag der Pogromnacht legten der Oberbürgermeister Alexander Kalouti und Zwi Rappoport, der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, am Mahnmal auf dem Platz der Alten Synagoge in Dortmund Kränze nieder.

Foto: Ramiel Tkachenko / J.E.W