„Das Licht der Hoffnung neu entzünden“
Rede von Avigdor Moshe Nosikov, Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund anlässlich der Gedenkveranstaltung in Dorstfeld am 7. November 2024
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!
Die Tora, die in der christlichen Welt als Altes Testament bekannt ist, erzählt von der Flut, die G“tt über die Welt brachte. Die Arche Noah ist der einzige Ort, an dem die Bewohner der Flut, die die ganze Welt überschwemmte und zerstörte, entkommen konnten.
Ein wichtiger Teil dieser Geschichte ist die Erzählung von der neuen Generation, die Noah und seine Söhne nach der Flut schufen. Jeder versteht, dass es nicht leicht ist, nach der Flut eine neue Generation zu schaffen, wenn man aus der Arche kommt und nur Zerstörung und Verwüstung sieht! Aber trotz all der emotionalen Schwierigkeiten haben Noah und seine Söhne es geschafft. Sie gründeten eine neue Generation, die die Existenz der Menschheit auf der Erde fortsetzte.

Rabbiner Avigdor Mosche Nosikov,
Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Dortmund
Im Laufe der Geschichte hat das jüdische Volk viele solcher Fluten erlebt. Die schwerste Flut der letzten 1.000 Jahre war der Holocaust, der jedem dritten Juden auf der Erde das Leben kostete – Männern, Frauen, Alten und Kindern. Die Leistung des israelischen Volkes bestand immer in seiner Kraft, alle Schwierigkeiten der Zerstörung und Verwüstung zu überwinden und neue Generationen hervorzubringen, die das jüdische Volk fortführen. Zeugnisse hierfür sind jüdische Gemeinde von Dortmund, die wächst und sich entwickelt, die jüdische Gesellschaft in Deutschland und in der ganzen Welt, die die Traditionen ihrer Vorfahren weiterführt und ihre Kultur und Tradition durch die Jahrhunderte und trotz der Fluten bewahrt.
Seit mehr als einem Jahr erleben wir eine neue Flut, die von den Feinden der Zivilisation und den Trägern der Ideologie der Zerstörung – den Hamas-Terroristen, Mördern und Vergewaltigern – als „Al-Aqsa-Flut“ tituliert wird und die wir als die Tragödie vom 7. Oktober bezeichnen. Sie führte nicht nur zum Beginn eines Krieges, der jeden Tag Menschenleben fordert, sondern auch zu einem Aufflammen der antijüdischen Propaganda, selbst bei Menschen, die die Ziele und Überzeugungen der Terroristen nicht zu unterstützen scheinen. Etwas Ähnliches haben wir bereits vor dem Beginn der so genannten „Endlösung der Judenfrage“ erlebt – als die absolute Mehrheit eines ganzen Volkes ihre Menschlichkeit verlor und sich Grausamkeit und Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen aneignete. Es ist unsere moralische Pflicht, nicht den Mut zu verlieren, sondern wie Noah und seine Söhne zu handeln, wie viele unserer Völker in den vergangenen Generationen, wie diejenigen, die nach der Dunkelheit des Holocausts begannen, das Leben wieder aufzubauen und neue Generationen zu schaffen.
Wir sind hier versammelt, um nicht nur der Dunkelheit der Vergangenheit zu gedenken, sondern um das Licht der Hoffnung neu zu entzünden. Möge jeder von uns zu diesem Licht werden – zu einem Licht der Widerstandsfähigkeit, des Friedens und des Lebens, so dass keine Welle des Hasses und der Zerstörung es auslöschen kann. Und wie Noah sind wir verpflichtet, Leben und Liebe zu schaffen, damit immer ein Funke des Guten auf unserer Erde bleibt. Lassen wir uns von der Erinnerung und dem Glauben an eine bessere Zukunft leiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

