„Werden Sie aktiv, werden Sie wütend und kämpferisch, werden Sie laut!“
Rede von Adrian Ben Shlomo, Mitglied der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund anlässlich der Gedenkveranstaltung in Dorstfeld am 7. November 2024
Sehr verehrte Anwesende,
in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in Deutschland und Österreich Synagogen verbrannt, jüdische Geschäfte zerstört und tausende Jüdinnen und Juden verhaftet. Mehr als 1.000 Menschen wurden ermordet, viele wurden verletzt oder in Konzentrationslager deportiert. Diese Nacht, ist ein Symbol für die Zerstörung der jüdischen Gemeinschaft und markiert den Beginn der weiteren Verfolgung, die im Holocaust gipfelte.
Doch die Erinnerung an diese Gräueltaten bleibt oft nur oberflächlich. Trotz vieler Gedenkveranstaltungen und Mahnmale müssen wir feststellen, dass die Erinnerungskultur noch nicht die Wirkung erzielt, die notwendig ist. Der Antisemitismus lebt fort, und auch heute müssen wir uns immer wieder gegen Hass, Intoleranz und Gewalt gegen Juden stellen. Überall auf der Welt.

Adrian Ben Shlomo,
Mitglied der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund
Ein erneuter Tiefpunkt war dabei natürlich das Massaker vom 7. Oktober letzten Jahres. Terroristen dringen in israelische Siedlungen ein, töten hundertfach, vergewaltigen und verschleppen über 250 Menschen in die Tunnel in Gaza. Etwa 100 Geiseln sind seit über einem Jahr in ungewisser Gefangenschaft.
Ein weltweiter Aufschrei blieb dabei leider aus, oder war nur sehr leise.
Die schrecklichen Auswirkungen in Israel und der Nachbarregion möchte ich hier gar nicht besprechen. Als besorgniserregend empfinde ich die Auswirkungen für Jüdinnen und Juden hier in Deutschland und auch in Dortmund.
Anfeindungen sind massiv gestiegen, wer Details wissen möchte, kann sich gerne an RIAS oder ADIRA wenden. Man denke etwa an die sabotierte Filmvorführung über die Gewalt an israelischen Frauen durch Unterstützer des Terrorismus hier in Dortmund. Oder vor wenigen Tagen ein Fan des jüdischen Sportvereins Makkabi in Berlin, der sich übrigens wie die gesamte Makkabi-Bewegung in Deutschland für ein gemeinsames Miteinander stark macht. Der Mann wurde verprügelt, offenbar reichte dem Angreifer ein Logo des Sportvereins als Anlass.
Als ich meinen Cousin, der in einem Vorort von Tel Aviv lebt aus Solidarität angerufen habe und hören wollte wie es ihm geht, fragte er mich: Und wie schlimm ist es mit dem Antisemitismus in Deutschland? Wann ziehst du endlich nach Israel? Hier geboren und aufgewachsen antwortete ich nur nüchtern: Ach der Antisemitismus war schon immer da, jetzt eben noch mehr, ich bin es gewohnt.
Man beachte, unsere gemeinsamen Großeltern wuchsen im Iran auf. Wir hoffen, die Bevölkerung dort schafft es eines Tages, sich gegen das Mullah-Regime zu erheben.
Aber auch die Sorge, bei vielen Mitgliedern unserer Gemeinde angefeindet zu werden, ist deutlich gestiegen. Ich las oder hörte mehr als einmal sinngemäß den Satz: „In Israel fühle ich mich als Jude sicherer, als hier in Deutschland“ – Stellen sie sich das vor, in Israel herrscht Krieg, fast täglich wird Israel mit Raketen beschossen, aus Gaza, Libanon, Yemen und Iran. Menschen sterben oder werden verletzt. Und Juden fühlen sich dort sicherer als hier? Wie kann das sein? Was sagt das über das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden hierzulande aus?
Die Polizei und meistens auch zumindest die erste Riege der Politik verteidigt das Judentum meistens gut, aber gesellschaftlich fehlt es hier leider deutlich an Solidarität.
Was bleibt uns also?
Die Erinnerung darf nicht nur ein Akt der Trauer oder der moralischen Pflicht sein. Sie muss lebendig bleiben, aktiv in unserem Handeln, in der Art, wie wir gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, und in der Art, wie wir uns gegen jede Form von Hass stellen.
Ich möchte Sie alle daher ermutigen, das wenige, was wir tun können anzugehen. Jeder muss sich fragen: Was kann ich persönlich tun?
Sie sind heute hier, viele aus Ihrem Umfeld nicht! Daher auch: Wie kann ich dazu beitragen, diese Themen in mein persönliches Umfeld zu tragen?
Wenn sie keine Ideen dazu haben, dann lassen sie sich gerne inspirieren von einem der vielen Projekte, die heute hier präsent waren! Werden Sie aktiv, werden Sie wütend und kämpferisch, werden Sie laut!
Mein Dank gilt allen Projekten und Arbeitsgruppen, aber auch jeder einzelnen Person, die heute gekommen ist. Denn ein Gedenken an das Geschehen ohne einen Blick nach vorne wäre vergebens.
Am Israel Chai – Das Volk Israel lebt!
Vielen Dank
