„Wenn ich durch die Innenstadt gehe, schaue ich mich öfter um“
Interview mit Sharon Fehr & Stadtmagazin „RUMS“
Am Montag, den 7. Oktober 2024 jährt sich der Angriff auf Israel. Seitdem ist das Leben für jüdische Menschen noch unsicherer geworden. Miriam Amro von der Reportageschule Reutlingen hat Sharon Fehr von der jüdischen Gemeinde angerufen, um mit ihm darüber zu sprechen.
Herr Fehr, mit welchem Gefühl gehen Sie in diesen Zeiten durch die Straßen in Münster?
Fehr: Ich trage eine Kippa und bin bisher ohne große Bedenken in Münster auf die Straße gegangen. Aber wie viele unserer Gemeindemitglieder spüre ich, dass der Antisemitismus zugenommen hat, insbesondere nach dem islamistischen Terroranschlag der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung. In Münster fühle ich mich relativ sicher, aber ich bin trotzdem vorsichtiger geworden.

Sharon Fehr,
Ehrenvorsitzender und Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Münster
Foto: Arne Meyer
Können Sie die Unsicherheit beschreiben?
Fehr: Wenn ich durch die Innenstadt gehe, schaue ich mich öfter um, um zu erkennen, ob etwas Ungewöhnliches passiert, und im Notfall schnell reagieren zu können. Aber in anderen Städten, wie Dortmund oder Berlin, ist das anders. Da verstecke ich meine jüdische Identität. Ich setze dann eine Schirmmütze über meine Kippa und stecke die Zizit, die weißen Fäden meines Gebetsmantels, in die Hosentasche.
Vor Ihrer Gemeinde steht seit dem 7. Oktober verstärkt Polizeischutz. Rund um die Uhr wird Ihre Gemeinde bewacht. Wie sieht die aktuelle Sicherheitslage des Gemeindezentrums aus? Gab es in letzter Zeit Übergriffe?
Fehr: Zum Glück erleben wir in der Klosterstraße, wo unser jüdisches Gemeindezentrum liegt, keine direkten Angriffe – weder Beschimpfungen noch Schmierereien. Das könnte auch an der ständigen Polizeipräsenz liegen. Anders sieht es jedoch bei pro-palästinensischen Demonstrationen aus. Gruppen wie „Freunde Palästinas e.V.“ greifen nicht nur Israel, sondern auch uns als Juden verbal an. Ein besonders schockierendes Ereignis fand vor drei Jahren statt, als 13 junge Männer vor unserer Synagoge eine israelische Flagge verbrannten. Dank aufmerksamer Nachbarn konnte die Polizei Schlimmeres verhindern.
Mit welchem Gefühl denken Sie an den 7. Oktober?
Fehr: Der Jahrestag des Terroranschlags islamistischer Hamas-Terroristen ist ein Tag tiefen Schmerzes und tiefer Trauer. Dieser Tag hat in Israel und in unseren jüdischen Gemeinden in der ganzen Welt tiefe Wunden hinterlassen. Meine Gedanken wandern unweigerlich zu den schrecklichen Pogromen der Vergangenheit und zur Shoah. Freunde in Israel erzählen mir am Telefon von ihrer Angst, dass sich solche Verbrechen wiederholen könnten.
Wissen Sie, wie Sie diesen Tag verbringen werden?
Fehr: Am Jahrestag werde ich mit Freunden in Israel telefonieren und am Abend an der Mahnwache vor dem Alten Rathaus in Münster teilnehmen, die von der Arbeitsgemeinschaft Münster der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und dem Jugendbündnis gegen Antisemitismus organisiert wird. Im Namen unserer jüdischen Gemeinde werde ich Worte der Solidarität mit Israel und den Angehörigen der noch immer entführten Geiseln sprechen und eindringlich dazu aufrufen, nicht länger wegzuschauen – weder bei der existenziellen Bedrohung Israels noch bei der zunehmenden Gefährdung jüdischen Lebens hierzulande.
Ihre Gemeinde hat knapp 500 Mitglieder. Auch wenn Sie nicht für alle Mitglieder sprechen können, dennoch die Frage: Wie geht es Ihnen?
Fehr: Die Zunahme antisemitischer Vorfälle in den letzten Monaten auf den Straßen in Deutschland macht uns natürlich Sorgen. Besonders die Angriffe auf jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Schulen verunsichern viele. Oft höre ich von Gemeindemitgliedern die Frage, ob es überhaupt noch sicher ist, ihre Kinder zum Religionsunterricht oder ins Jugendzentrum zu schicken. Auch am Shabbat überlegen manche, ob sie überhaupt zum Gottesdienst kommen sollen – trotz der verstärkten Sicherheitsvorkehrungen vor unserer Synagoge.
Fast jeden Tag erreichen uns Meldungen von antisemitischen Vorfällen oder Übergriffe auf jüdische Mitbürger:innen. Wie reagieren Sie darauf?
Fehr: Der zunehmende Antisemitismus macht mir große Sorgen – sowohl für die Sicherheit unserer Jüdischen Gemeinde als auch für die Entwicklung unserer demokratischen Gesellschaft. Es ist schmerzhaft zu sehen, dass Vorurteile und Hass gegen Juden, die wir längst überwunden glaubten, wieder aufleben.
Was löst das in Ihnen aus?
Fehr: Ich empfinde eine Mischung aus Enttäuschung und Traurigkeit. Antisemitische Übergriffe auf jüdische Personen, Synagogen oder andere Einrichtungen zielen nicht nur auf uns Juden. Sie greifen etwas viel Tieferes an: die Integrität, die Würde und die im Grundgesetz verankerte Freiheit, seine Religion frei auszuüben.
Kann man sich irgendwie dagegen wappnen? Ist das überhaupt möglich?
Fehr: Ganz ehrlich, man kann sich nie komplett wappnen. Wir tun, was wir können, um uns zu schützen – durch Sicherheitsmaßnahmen und durch den engen Austausch mit der Stadt und den Behörden. Aber das Gefühl der Unsicherheit bleibt. Der Schlüssel ist, den Dialog zu fördern und die Zivilgesellschaft zu stärken. Nur gemeinsam können wir Antisemitismus entgegentreten.
Sie sind seit vielen Jahren in der Jüdischen Gemeinde Münster …
Fehr: Anfang der Achtziger Jahre wanderte ich eigentlich nach Israel aus, in der festen Absicht, dort meine Zukunft zu verbringen. Doch 1992 musste ich aus persönlichen Gründen nach Deutschland zurückkehren, um einige Angelegenheiten zu regeln. Das dauerte dann länger als gedacht, und so habe ich schließlich eine Stelle als Diplom-Sozialarbeiter in der ambulanten Strafrechtspflege bei der Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe am Landgericht Münster angenommen. Gleichzeitig begann ich, mich hier in der Jüdischen Gemeinde zu engagieren.
Mittlerweile sind Sie Vorsitzender.
Fehr: 1994 bot man mir die Position des ehrenamtlichen ersten Vorsitzenden an. Ich nahm an, allerdings mit der klaren Ansage, dass ich das Amt nur für eine Amtszeit ausüben würde – schließlich wollte ich ja nach Israel zurückkehren. Tja, daraus wurden dann 28 Jahre, und wie Sie sehen, bin ich immer noch in Münster.
Wenn Sie auf Ihre Zeit zurückblicken. Wie hat sich die Gemeinde in den letzten Jahren verändert?
Fehr: Unsere Gemeinde hat sich enorm weiterentwickelt. Früher waren wir in erster Linie eine religiöse Gemeinschaft. Heute sind wir weit mehr – ein umfassender Dienstleister.
Das heißt?
Fehr: Wir haben unsere Angebote stark erweitert, vor allem im Hinblick auf die Integration neuer Mitglieder. Das beginnt bei Sprachkursen, geht über Beratungen bis hin zu Krisenintervention. Wir helfen den Menschen auch ganz praktisch, sei es bei der Suche nach Kindergartenplätzen, Schulen, Wohnungen oder Arbeit.
Es geht also weit über religiöse Fragen hinaus …
Fehr: Es geht darum, die Menschen in allen Lebensbereichen zu unterstützen. Viele der neuen Gemeindemitglieder kommen aus anderen Ländern und benötigen gerade in der Anfangszeit viel Unterstützung, um sich hier zurechtzufinden. Unsere Aufgabe ist es, ihnen den Start in Deutschland so leicht wie möglich zu machen.
Haben sich die Wünsche der Gemeindemitglieder im Laufe der Jahre verändert?
Fehr: Ja, absolut. Früher lag der Fokus eher auf den traditionellen religiösen Themen. Heute spielt der soziale Aspekt eine viel größere Rolle. Gerade durch den Zuzug von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion und anderen Ländern haben sich die Anforderungen an uns als Gemeinde deutlich verändert. Integration und praktische Lebenshilfe sind mittlerweile ebenso wichtig wie der Erhalt der religiösen Traditionen.
Sie haben es geschafft, die sozialen Bedürfnisse Ihrer Mitglieder umfassend abzudecken …
Fehr: Naja, wir haben im Laufe der Jahre eine richtig gut funktionierende Sozialabteilung aufgebaut. Die kümmert sich um alles – von älteren Menschen bis hin zu Familien und bedürftigen jüdischen Migranten. Wir organisieren Haushaltshilfen, machen Krankenbesuche, helfen bei Behördengängen und übersetzen auch mal Anträge, wenn’s nötig ist. Und jahrelang haben wir Sprachkurse angeboten, um unseren neuen Mitgliedern nicht nur Deutsch beizubringen, sondern ihnen auch zu zeigen, wie wichtig es ist, unsere religiösen, sozialen und kulturellen Angebote anzunehmen.
Erzählen Sie uns ein wenig aus Ihrem Alltag – was sind Ihre Aufgaben?
Fehr: Mein Tag beginnt meistens mit Verwaltungsaufgaben. Das heißt, ich plane Termine, halte Kontakt zu Behörden und telefoniere oft mit der Vorsitzenden unserer Gemeinde. Es gibt immer viel zu organisieren. Ich kümmere mich auch um die Verwaltung von Spenden, erstelle Abrechnungen und Spendenbescheinigungen. Ein Großteil der Korrespondenz der Jüdischen Gemeinde läuft ebenfalls über meinen Schreibtisch. Aber was mir besonders wichtig ist, sind die Beziehungen zu öffentlichen Institutionen. Ich pflege den Kontakt zum Stadtrat, zu den demokratischen Parteien, zur Gesellschaft für Christlich-Jüdischen Dialog und zur Deutsch-Israelischen Gesellschaft Münster.
Wie wichtig sind diese Beziehungen für Ihre Arbeit?
Fehr: Sehr wichtig! Diese Netzwerke helfen uns nicht nur, die Anliegen der Gemeinde nach außen zu tragen, sondern sie stärken auch den Dialog zwischen verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft. Das ist gerade in der heutigen Zeit von großer Bedeutung.
Wie würden Sie den interreligiösen Dialog hier in Münster beschreiben?
Fehr: Ich empfinde den Dialog als sehr positiv und respektvoll. Besonders die Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (CJZ) ist über die Jahre gewachsen. Wir begegnen uns wirklich auf Augenhöhe, was eine tolle Basis für gemeinsame Projekte schafft.
Können Sie Beispiele für diese Zusammenarbeit nennen?
Fehr: Ja, jedes Jahr organisieren wir gemeinsam die Eröffnungsveranstaltung der „Woche der Brüderlichkeit“ im Rathaus Münster. Diese Veranstaltung ist ein wichtiger Moment des Austauschs und der Verständigung zwischen Christen und Juden. Zudem gibt es jedes Jahr Veranstaltungen, die sich gegen Antisemitismus und für ein friedliches Miteinander einsetzen.
Gibt es auch gemeinsame Gedenkveranstaltungen?
Fehr: Ja, zusammen mit der CJZ richten wir am 9. November eine Gedenkveranstaltung aus, um an die Reichspogromnacht zu erinnern. Auch am 27. Januar, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, organisieren wir zusammen Veranstaltungen. Diese Zusammenarbeit stärkt nicht nur den interreligiösen Dialog, sondern auch das Bewusstsein für die Vergangenheit und die Notwendigkeit, sich gegen Antisemitismus zu stellen. Ein Dialog mit muslimischen Gemeinden findet, insbesondere nach dem 7. Oktober, kaum statt.
Fühlen Sie sich in diesen Zeiten in Münster besonders integriert?
Fehr: Absolut. Unsere Gemeinde hat heute einen festen Platz in der Mitte der Münsteraner Stadtgesellschaft. Das ist ein gutes Gefühl, besonders in Zeiten, in denen es leider immer wieder zu antisemitischen Vorfällen kommt. Trotz des jüngsten Übergriffs vor unserer Synagoge ist Rechtsextremismus in Münster glücklicherweise nicht Teil des Alltags.
Wie erleben Sie die Stadtgesellschaft hier in Münster?
Fehr: Ich erlebe Münster als eine verlässliche und demokratische Zivilgesellschaft, in der Toleranz und Menschenwürde groß geschrieben werden. Die Stadt steht zusammen, und das gibt einem viel Kraft, gerade in schwierigen Momenten.
Und was bedeutet Ihnen Ihre Gemeinde persönlich?
Fehr: Für mich ist die Gemeinde meine jüdische Heimat. Ich habe hier einen großen Teil meines Lebens verbracht, und es ist der Ort, an den ich immer gehen kann – sei es zum Beten, um Gleichgesinnte zu treffen oder einfach, um über wichtige Themen zu diskutieren. Und bei unseren Veranstaltungen freue ich mich, ganz entspannt in der dritten Reihe zu stehen.
Was bedeutet es für Sie persönlich, eine jüdische Gemeinde zu leiten?
Fehr: Für mich geht es vor allem darum, zuhören zu können – hinhören, was die Gemeinde braucht, und sich selbst nicht als Maßstab zu nehmen. Empathie und Feingefühl sind unglaublich wichtig, genauso wie das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu stärken, unabhängig davon, wie religiös die einzelnen Mitglieder sind.
Wie wichtig ist es für Sie, jüdische Traditionen und Bräuche an die jüngere Generation weiterzugeben?
Fehr: Das ist für mich zentral. Besonders die moralischen Höhen, die das Judentum anstrebt, sind etwas, das ich unbedingt weitergeben möchte. Es geht nicht nur um die Traditionen selbst, sondern auch um die Bräuche, die in unserer Gemeinde über Jahre gewachsen sind. Diese Werte und Rituale sind die Basis unserer Identität und unseres Gemeinschaftsgefühls.
Welche Bräuche möchten Sie dabei besonders hervorheben?
Fehr: Vor allem die Weitergabe jüdischer Werte und das Angebot von Freiräumen für das Studium unserer hebräischen Schriften und der Sprache – das ist entscheidend. Hebräisch, die Sprache unserer Propheten, verbindet uns über Generationen hinweg. Diese Verbindung sichert das Fortbestehen unserer Gemeinde. Genauso wichtig ist aber auch das gemeinsame Feiern unserer Feste, wie Shabbat, Neujahr, Jom Kippur oder Sukkot. All diese Dinge halten uns als Gemeinschaft zusammen und geben uns Orientierung.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Missverständnisse über das Judentum, die noch in der Gesellschaft bestehen?
Fehr: Leider gibt es immer noch viele alte Vorurteile und Missverständnisse, die sich hartnäckig halten. Da ist zum Beispiel die absurde Idee, dass Juden die Weltwirtschaft und das Kapital kontrollieren würden, oder dass Juden nur an Geld und ihren eigenen Vorteilen interessiert seien. Auch der Talmud wird oft missverstanden – manche glauben fälschlicherweise, er sei gegen das Christentum gerichtet, weil er früher auf dem Index stand.
Diese Vorstellungen wirken ziemlich veraltet.
Fehr: Es gibt zudem die schreckliche Ritualmord-Legende, nach der Juden das Blut christlicher Kinder verwenden, um Pessach zu feiern. Solche Verschwörungserzählungen sind natürlich völlig absurd, aber sie tauchen immer wieder auf – besonders in Krisenzeiten, wie wir es während der Corona-Pandemie gesehen haben.
Wie begegnen Sie diesen Mythen?
Fehr: Aufklärung ist das A und O. Es bleibt unerlässlich, solche Verschwörungstheorien aufzuklären und Vorurteile abzubauen. Unsere Rabbiner sagen oft: „Die größte Schwierigkeit auf dem Weg zum Verständnis ist das Missverständnis.“ Darum müssen wir diese falschen Bilder immer wieder entkräften und das Verständnis fördern.
Wie sieht der Alltag in Ihrer jüdischen Gemeinde aus? Welche Aktivitäten und Angebote gibt es?
Fehr: Bei uns ist eigentlich immer etwas los – außer montags, da ist es ruhiger. An den anderen Tagen bieten wir Führungen für Schulen, Vereine, Bildungseinrichtungen und Parteien an. Diese finden täglich statt, außer an Shabbat und an Feiertagen. Einmal die Woche ist unser Jugendzentrum aktiv, und der jüdische Religionsunterricht läuft auch regelmäßig.
Das klingt nach einem vielfältigen Programm.
Fehr: Wir haben einen Seniorenclub und einen Frauenchor, die sich regelmäßig treffen. Und unsere Küche veranstaltet in regelmäßigen Abständen koschere Kochkurse, bei denen Gäste und Mitglieder gemeinsam lernen und kochen können. Das ist immer eine schöne Gelegenheit, Traditionen zu erleben und neue Rezepte auszuprobieren.
Gibt es auch sportliche Aktivitäten?
Fehr: Ja, wir haben eine Tischtennis-AG, die „TT-JGMS“, in der Mitglieder unserer Gemeinde aktiv sind. Außerdem bereitet unser hauptamtlicher Vorbeter (auch Kantor oder Chasan genannt) vor den Hohen Feiertagen die Gemeinde musikalisch vor, indem er Gebetsgesänge rezitiert. Das ist immer ein besonderes Highlight für unsere Mitglieder.
Was sind die Hauptanliegen, die Ihnen Mitglieder der Gemeinde an Sie herantragen?
Fehr: Ganz oben steht die Gewährleistung der physischen und emotionalen Sicherheit der Gemeindemitglieder, vor allem in Zeiten, in denen antisemitische Bedrohungen leider wieder zunehmen. Viele sorgen sich um ihre Sicherheit im Alltag. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Sicherstellung einer Immobilie, in der unsere jüdischen Senioren und Seniorinnen sicher, würdevoll und in Gemeinschaft leben können. Es geht darum, einen Ort zu schaffen, an dem sie sich sowohl jüdisch als auch menschlich aufgehoben fühlen – das ist ein großer Wunsch innerhalb der Gemeinde.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Gemeinde und des jüdischen Lebens in Deutschland?
Fehr: Als Jude wünsche ich mir vor allem, dass wir unsere Religion frei und ohne Angst ausüben können – so wie es unsere christlichen Nachbarn tun. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir uns keine Sorgen um Diskriminierung oder Antisemitismus machen müssen. Das jüdische Leben in Deutschland ist vielfältig und lebendig, und es liegt mir sehr am Herzen, dass dies nicht nur erhalten, sondern gestärkt wird – sowohl hier in der Jüdischen Gemeinde Münster als auch in ganz Deutschland.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Fehr: Ein zentraler Punkt ist die Bildungsarbeit. Es ist unglaublich wichtig, schon bei Kindern ein Bewusstsein für das jüdische Leben und unsere Kultur zu schaffen. Nur so können wir verhindern, dass Vorurteile überhaupt entstehen. Wir müssen das jüdische Leben in Deutschland mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken, und das nicht nur in historischen Kontexten.
Glauben Sie, dass die jüdische Gemeinschaft in absehbarer Zeit ohne diesen ständigen Polizeischutz auskommen kann oder sehen Sie dies als eine langfristige Notwendigkeit?
Fehr: Ohne ausreichende Sicherheit und Schutz für unsere Gemeindemitglieder wird das leider nicht so schnell möglich sein. Ich wünsche mir aber, dass wir in Zukunft weniger Polizeischutz brauchen.