Landesverband
Unsere Geschichte
Am 27. Januar 1946 wurde der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.ö.R. mit Sitz in Dortmund gegründet.
Die Neugründung Jüdischer Gemeinden in Deutschland schien nach der Schoa undenkbar. Es gab jedoch eine Handvoll Überlebender, die trotz allem in ihre westfälischen Heimatstädte zurückgekehrt waren. Bereits im Sommer 1945 wurden an verschiedenen Orten in Westfalen wieder G“ttesdienste abgehalten. Wenig später fingen diese kleinen Gemeinden an, sich zu organisieren und einen gemeinsamen Landesverband für Westfalen zu gründen.
Es ist heute kaum vorstellbar, welche Kraft und welchen Mut es in dieser Zeit erforderte, sich nicht nur für ein Bleiben – ausgerechnet in Deutschland –, sondern für den Aufbau jüdischen Lebens zu entscheiden.

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Dortmund,
Siegfried Heimberg (rechts), legt am 2. August 1955
einen Stein des Gebäudes der neuen Synagoge
(Foto: Stadtarchiv Dortmund)

Siegfried Heimberg,
Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen und der JKG Gross-Dortmund von 1945-1965
Als Siegfried Heimberg Ende Juli 1945 aus dem Lager Theresienstadt in seine Heimatstadt Dortmund zurückkehrte, traf er auf drei Glaubensbrüder mit einem ähnlichen Schicksal. Sie baten die Stadtverwaltung, andere westfälische Juden mit einem Bus aus Theresienstadt heimzuholen. Anfang August traf der Bus in Dortmund ein. Die Gemeinschaft wuchs sozusagen über Nacht auf gut 40 Mitglieder.
Sie benötigten nun – wie alle Menschen nach dem Krieg – Wohnungen, Lebensmittel und Kleiderkarten. Nach den Jahren des Schreckens und der Entbehrung kamen auch geistige und kulturelle Bedürfnisse bei den trotz allem zurückgekehrten Dortmunder Juden hinzu. Es bestand insbesondere eine Sehnsucht nach jüdischer Gemeinschaft, jüdischem Familienleben und jüdischen G“tteshäusern. Die Konsequenz war der Wiederaufbau der Religionsgemeinschaft und Synagoge in Dortmund.
Ähnliche Situationen bestanden auch in anderen Orten in der westfälischen Umgebung, wo während dieser Zeit weitere jüdische Gemeinden entstanden. Das Wachstum aller Gemeinden wurde in den Folgejahren auch durch den Zuzug sog. „Displaced Persons“ aus Osteuropa verstärkt. Zwischen diesen jüdischen Gemeinden in Westfalen entwickelte sich ein stetiger Austausch.
Am 27. Januar 1946 war es dann so weit: Ein gemeinsamer Landesverband wurde gegründet und Siegfried Heimberg zu seinem ersten Vorsitzenden gewählt.
Seit dieser Gründung hat unser Landesverband vielfache Herausforderungen meistern müssen, wobei über all die Jahre hinweg Kontinuität bei der Führung bestand:
Der Gründungsvorsitzende Siegfried Heimberg aus Dortmund leistete bis zu seinem Tod im Jahre 1965 die notwendige Aufbauarbeit.
Sein Nachfolger war der ebenfalls als Vorstandsmitglied am Aufbau beteiligte Kurt Neuwald aus Gelsenkirchen, der fast 30 Jahre lang die Geschicke unseres Landesverbandes lenkte, und den Grundstock für unsere wirtschaftliche Stabilität legte.
Zunächst galt es für diese Gründungsväter, ein jüdisches Gemeindeleben aus dem „Nichts“ zu schaffen, erschwert durch einen Mangel an Rabbinern, Lehrern und Kantoren. In der Anfangszeit gehörte auch die Vertretung der rechtlichen Interessen der Gemeinden im Rahmen der Restitutionsverfahren zu den wesentlichen Aufgaben des Verbandes. Zudem wurden in ganz Westfalen 250 verwaiste und teilweise zerstörte jüdische Friedhöfe wiederhergestellt, die bis heute durch unseren Landesverband betreut werden.

Kurt Neuwald, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe von 1965-1994
und anschließend dessen Ehrenvorsitzender

Hanna Sperling, Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes
der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe von 1994-2019
Nach den beiden Überlebenden der ersten Stunde, Heimberg und Neuwald, folgte im Jahr 1994 mit Hanna Sperling erstmals eine Jüdin der zweiten Generation, die unseren Landesverband später auch bundesweit als Mitglied im Präsidium des Zentralrates der Juden in Deutschland repräsentierte. Durch die Einwanderung jüdischer Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ab dem Jahre 1990 wuchsen unsere Gemeinden in ihrer Zeit in erheblichem Umfang. Hauptaufgabe des Landesverbandes war nunmehr die Integration der Neueinwanderer und die Unterstützung bei der Verbesserung der Gemeindeinfrastrukturen, die auch durch Neubauten oder Anbauten in insgesamt acht unserer zehn Gemeinden erreicht werden konnte.
Seit 2019 ist Zwi Rappoport aus Dortmund der Vorsitzende des Landesverbandes, nachdem er zuvor 13 Jahre lang bereits als stellvertretendes Mitglied im Vorstand war. Nach dem Vorbild seiner bislang insgesamt erst drei Vorgänger versucht er nun gemeinsam mit seinen Stellvertretern Grigory Rabinovich aus Bochum und Sharon Fehr aus Münster weiterhin kontinuierlich die Jüdische Gemeinschaft zu stärken. Dabei muss sich unser Landesverband heute auch mit einem immer aggressiven und offener auftretenden Antisemitismus auseinandersetzen, was einen intensiven Einsatz zur Sensibilisierung der Zivilgesellschaft für die Gefährdung unserer Demokratie verlangt. Außerdem hat die Corona-Krise unseren Landesverband und all unsere Gemeinden vor ganz neue Herausforderungen gestellt, die wir aber auch mit G“ttes Hilfe gemeinsam bewältigen konnten.
Zum Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe zählen heute die zehn angeschlossenen Jüdische Gemeinden Bielefeld, Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen, Hagen, Herford-Detmold, Minden, Münster, Paderborn und Recklinghausen mit insgesamt knapp über 6.000 Mitgliedern. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es ca. 22.000.
Neben regelmäßigen G“ttesdiensten werden u.a. schulischer Religionsunterricht, jüdische Erwachsenenbildung, Sprachkurse, koschere Verpflegung, soziale Dienste, Tanz-, Kunst- und KravMaga-Kurse angeboten. Einige Gemeinden haben zudem angeschlossene Kindergärten, Tages- und Sonntagsschulen, Jugendzentren, Altersheime, Sozialabteilungen, Seniorenclubs, Frauenvereine, Chöre, Theatergruppen, Makkabi-Sportvereine und viele weitere Einrichtungen.

Zwi Rappoport,
Vorsitzender des Landesverbandes
der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe K.d.ö.R.